@ E.R.O.S.
Eiern hat. In Wirklichkeit will ich gar nicht kündigen. Nachdem ich den Mut aufgebracht habe, mich mit meinem Verdacht »an die Öffentlichkeit zu wenden« – und recht behalten habe –, will ich die Angelegenheit endgültig geklärt haben. Miles kotzt mich nur an.»Ich bleibe, bis Racquel zurückkommt«, sage ich mit fester Stimme.
»Braver Junge. Ach ja, fang lieber schon mal damit an, deine Pseudonyme zu organisieren. Deine FBI-Freunde werden Fragen stellen, und es kann ganz schön schwierig sein, sich daran zu erinnern, wo man vor so vielen Monaten an so vielen verschiedenen Abenden war.«
»Ich habe nichts zu verbergen«, sage ich nachdrücklich. »Ich bin unschuldig.«
Es folgt ein langes Schweigen, dann ein seltsames, dumpfes Seufzen. Als Miles schließlich antwortet, scheint auf seiner Stimme die Last eines Alters zu liegen, das weit über seine Lebensjahre hinaus geht. »Harper, hast du so wenig gelernt, seit du bei EROS bist? Du sprichst mit solcher Überzeugung von Unschuld. Ist irgendeiner von uns unschuldig?«
Dann legt er auf.
Ich schaue mich im Büro um und betrachte die vertrauten Erkennungszeichen meiner Existenz, den EROS-Computer (spezialangefertigt von Miles), den Gateway 2000, den ich für meine Börsengeschäfte brauche, zwei Laserdrucker, den altertümlichen Labortisch, den ich als Schreibtisch benutze, das Doppelbett, auf dem ich mich bei Marathonsitzungen an der Börse ausruhe, die Gitarren, die über dem Bett hängen. Ich hebe die Füße vom Boden und wirbele mit dem Drehstuhl im Kreis herum. Das Fenster blitzt immer wieder an mir vorüber, verschmilzt mit Reflexen eingerahmter Drucke, alter Landkarten, des Säbels aus dem Bürgerkrieg, mit dem einer meiner Vorfahren mütterlicherseits bei Brice’s Cross Roads kämpfte. Als ich aufhöre, mich zu drehen, sehe ich ein Sportsacko.
Das meines Vaters.
Es hängt an einem Drahtbügel an der Wand. Die Jacke scheint aus Kaschmir zu sein, mit schmalen vertikalen schwarzen und roten Streifen, doch in Wahrheit ist sie aus Holz.
Ich habe das Stück von einem Bildhauer erworben, den icheines Sommers in Florida entdeckte. Er ist ein großer, blonder Typ namens Fraser Smith, und er bildhauert nur Kleidungsstücke, Tagesdecken und alte Koffer. An dem Tag, an dem ich ihn kennengelernt habe, habe ich wie unter einem inneren Zwang zwei seiner Stücke gekauft und bei dem Plausch danach erfahren, daß er ursprünglich aus Mississippi kommt. Ich weiß nicht, warum seine Werke mich so stark ansprechen, stelle es aber nicht in Frage. Es gibt nur wenige Dinge, die es wirklich wert sind, daß man sie kauft.
Der Geschmack meines Vaters hinsichtlich Kleidung war in der Regel hundserbärmlich schlecht – hauptsächlich Synthetik in grellen Farben –, aber diese Jacke kaufte er, als er 1960, dem Jahr, in dem ich geboren wurde, als Stabsarzt in Deutschland diente. Ich kann nur vermuten, daß dem Laden die buntkarierten Kunstfasern ausgegangen waren und er keine andere Wahl hatte, als dieses Juwel zu kaufen, um sich zu wärmen. Zwanzig Jahre später schenkte er es mir, nachdem ich eine Bemerkung über seine Qualität hatte fallen lassen, und ich trug es oft. Zehn Jahre danach – ein Jahr nach seinem Tod – verpackte ich die Jacke sorgfältig und schickte sie mit UPS nach Tampa, Florida, wo Smith sie vier Monate lang behielt. Dann schickte er mir sowohl die Jacke als auch die Skulptur mit einer Rechnung über fünfzehntausend Dollar zurück.
Sie war jeden Cent davon wert.
Ich weiß nicht, warum. Vielleicht, weil die Jacke mir etwas über die Dauerhaftigkeit des anscheinend Vergänglichen verrät. Denn was ist diese Jacke, wenn nicht eine klare und deutliche Erinnerung? Solange diese Jacke hier bei mir ist, ist auch mein Vater hier bei mir. Und trotz all seiner Versäumnisse, und das waren nicht wenige, war er, wenn es um große Dinge ging, ein Mann mit Prinzipien. Und während ich hier sitze und mir Sorgen über die Konsequenzen meines jüngsten Vorgehens mache, weiß ich, daß ich nur genau das tue, was mein Vater getan hätte – und zum Teufel mit den Konsequenzen.
Vielleicht ist das Miles’ Problem. Er hat keinen solchenAnker. Miles’ Vater hat ihn und seine Mutter sitzen lassen, als Miles fünf Jahre alt war. Danach mußten sie sich allein durchschlagen. Die Leute sagten, daß Miles seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war, doch da Mrs. Turner keine Fotos von »diesem nichtsnutzigen Mistkerl« im Haus aufbewahrte, konnten wir das nie
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