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@ E.R.O.S.

@ E.R.O.S.

Titel: @ E.R.O.S. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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überlegen, doch zur Armee zu gehen. Zur russischen.
    Okay, er war ein Klugscheißer. Aber das macht ihn nicht zum Mörder. Er ist einfach in der falschen Stadt geboren worden. Und er wußte das. Wir beiden machten den High-School-Abschluß als National-Merit-Stipendiaten und hätten fast kostenlos auf jedes College in den Vereinigten Staaten gehen können. Doch dort trennten sich unsere Wege. Ich hatte in diesem Sommer so sehr die Mädchen im Kopf, daß ich kaum einen Gedanken ans College verschwendete, und da meine Eltern damals ihre eigenen Probleme hatten – sowohl finanzielle als auch eheliche –, ignorierten sie das Thema ebenfalls. Ich war in der Schule immer gut zurecht gekommen, also würde es auch in Zukunft so sein. Schließlich ging ich unbesehen auf die Ole Miss, und da ich so lange gebraucht hatte, um mich zu entscheiden, mußte mein Vater sogar für dieses Privileg zahlen.
    Miles bewarb sich beim Massachusetts Institute of Technology um ein uneingeschränktes akademisches Stipendium und bekam es auch. Während ich mich in Oxford, Mississippi, mit schusseligen, aber bildhübschen Studentinnen und betrunkenen jungen Republikanern abgab, programmierte Miles Turner mit fanatischem Eifer primitive Metallkästen, nahm sie auseinander und setzte sie wieder zusammen, die ich 1978 nicht mal erkannt hätte.
    Computer.
    Heute kommt mir das ganz natürlich vor, aber damals war es seltsam. Er sprach zu einer Zeit von Bits und Laufwerken und Arbeitsspeichern, als diese Begriffe der allgemeinen Bevölkerung so fremd waren wie Altgriechisch. Wirklich seltsam ist nur, daß Miles glaubt, ich sei klüger als er. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wieso. Das ist keine falsche Bescheidenheit. Ich gestehe offen ein, daß ich überdurchschnittlich intelligent bin, genau wie ich eingestehe, daß ich einen schlechten Orientierungssinn habe. Ich kann ein Problem betrachten, es analysieren – normalerweise, indem ich nach Mustern suche – und lösen, wenn man mir genug Zeit läßt. Miles analysiert gar nichts. Er betrachtet etwas und weiß es einfach . Er geht mit Physik und Zahlen um wie ich mit Menschen und Musik – völlig intuitiv. Es hat fast den Anschein, als ermögliche seine asoziale Kindheit es ihm, sich auf einen subrationalen Informationskanal einzustellen, der anderen nicht zugänglich ist.
    Als ich den Job als Sysop annahm, freute ich mich darauf, ihn wieder neu kennenzulernen. Ich hatte ihn im Verlauf der letzten fünfzehn Jahre nur ein paar Mal gesehen. Aber aus welchem Grund auch immer, es sollte nicht dazu kommen. Wir tauschen gelegentlich E-mails aus – und greifen manchmal auf die Satelliten-Bildverbindung zurück, die seine Techniker hier installiert hatten, nachdem ich den Hobbyjob übernommen hatte –, doch alles in allem kenne ich ihn nicht besser als damals, als wir Kinder waren. Vielleicht war meine Hoffnung auch völlig fehl am Platz. Vielleicht kann man niemanden besser kennen als in der Kindheit.
    Als Drewe kommt, habe ich ein selbst kreiertes Pfannenschmorgericht mit Schweinefleisch, Brockoli und Limone fertig. Wir essen auf der vorderen Veranda, auf der trotz der anbrechenden Dunkelheit noch die Hitze steht, die aber zum Glück nicht von Moskitos belagert wird. Wir haben uns kaum gesetzt, als Drewe um eine genaue Schilderung des Treffens in New Orleans bittet. Ich komme der Bitte nach, froh, nichts zurückhalten zu müssen. Sie nimmt jedes Wort mit der maschinenähnlichenPräzision auf, die ihr einen Abschluß des Medizinstudiums mit Prädikat eingebracht hat, und als ich fertig bin, sagt sie nichts. Ich habe auf solch ein Schweigen gehofft und mir ein Detail bis zum Schluß aufgespart.
    »Was ist eine Zirbeldrüse?« frage ich.
    Ihr Blick findet im Halbdunkeln meine Augen. »Die Epiphyse?«
    »Ich glaube schon, ja.«
    »Ein kleines drüsenähnliches Gebilde an der Gehirnbasis. Im dritten Ventrikel, glaube ich. Sie ist etwa erbsengroß.«
    »Und was bewirkt sie?«
    »Bis vor dreißig Jahren hat man geglaubt, sie würde gar nichts bewirken. Man hielt sie für ein rudimentäres Organ, wie den Blinddarm. Die Wissenschaftler wußten, daß die Zirbeldrüse Melatonin erzeugt, aber niemand wußte, was Melatonin bewirkte. Was hat die Epiphyse mit alledem zu tun?«
    »Das FBI behauptet, der Mörder hat Karin Wheat den Kopf abgeschnitten, um an ihre Zirbeldrüse heranzukommen.«
    »Was?«
    »Pervers, nicht wahr? Bei den anderen Opfern fehlt die Zirbeldrüse ebenfalls, oder der ganze Kopf.«
    Drewe

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