@ E.R.O.S.
ernst. »Sicher, die schneiden einen auf oder erschießen einen. Aber das ist völlig impulsiv. Ein Nigger wird schnell wütend, bringt schnell um und kommt schnell darüberweg. Fünf Minuten, nachdem er es getan hat, wird’s ihm wahrscheinlich schon wieder leid tun. Bei ’nem Weißen ist das anders. Ein Weißer kann lange einen Groll hegen. Ein Weißer haßt gern . Das gibt ihm eine Mission, einen Grund zum Leben. Und bei einem Mord wie dem in New Orleans ... diese Verstümmelung, meine ich ... es dauerte lange, so einen Zorn aufzubauen.«
Wir alle lassen Bob Anderson nicht aus den Augen.
»Natürlich ist das in New Orleans passiert«, fügt er philosophisch hinzu. »Weiß Gott, da kann alles passieren.«
Nach einem nachdenklichem Schweigen stellt Margaret Drewe Fragen bezüglich der Veränderungen in der Geschäftspolitik eines der Krankenhäuser in Jackson. Sowohl Drewe als auch Patrick haben dort ärztliche Privilegien und also eindeutige Meinungen zu dem Thema. Dann und wann wirft Bob eine nicht erbetene Expertise ein. Während sie hin und her streiten, wandert mein Blick zu Erin und Holly zurück. Sie bewegen sich wie exotische Tiere über den gesprenkelten Rasen, Erin anmutig wie eine Gazelle, Holly wie ein Elementargeist, der sich aus dem Gras erhoben hat. Während ich sie beobachte, lasse ich den nachdenklichen Ausdruck in meine Augen treten, den ich bei diesen Familienzusammenkünften so oft geübt habe. Alle nehmen an, ich dächte über Anleihen oder Terminwaren nach. Kurz über lang wird Bob mich fragen, ob ich diese Woche wieder einen Mordsreibach gemacht habe.
Doch für den Augenblick hat man mir Dispens erteilt.
Ich versuche, meinen Kopf freizuhalten, doch die Anstrengung ist vergeblich. Wie immer steigt mein Geheimnis ungebeten an die Oberfläche. Es ist immer da, schlägt wie ein zweites Herz in meinem Gehirn. Das unaufhörliche Trommeln wird lauter, pulsiert in meinen Ohren, pocht in den Schläfen, verursacht kleine Stürme der Taubheit auf der Oberseite meiner Unterarme. Das sind Parästhesien; ich habe die Symptome eines späten Abends in einem von Drewes medizinischen Büchern nachgeschlagen. Parästhesien werden vonaußerordentlichen Streßzuständen hervorgerufen. Da hat jeder wohl eine andere Toleranzschwelle. Was eine Kunstreiterin entsetzt, muß einem Bullenreiter nicht unbedingt etwas ausmachen.
Ich trage mein Geheimnis schon lange mit mir herum und habe dementsprechend gedacht, ich hätte gelernt, damit zu leben, gewissermaßen wie mit einer gutartigen Geschwulst. Dann, vor drei Monaten, fand ich heraus, daß mein Geheimnis viel schrecklichere Konsequenzen hat, als ich es mir je vorstellen konnte. Daß meine Schuld viel größer ist als meine Fähigkeit zur Rationalisierung.
Und mein Geschick zur Täuschung fällt in sich zusammen.
Darüber hinaus habe ich das irrationale Gefühl, daß mein Geheimnis ein eigenständiges Leben entwickelt hat – daß es herauszukommen versucht . Es flattert am Rand von Patricks Bewußtsein, poliert die feine Klinge von Drewes Mißtrauen. Ich frage mich manchmal, ob sie es bereits weiß, es aber aus einer Furcht heraus verleugnet, die noch viel größer als meine ist. Ist das möglich? Nein. Drewe könnte nicht so etwas wissen und dann nichts unternehmen . Ich sehe sie an, wie sie in dem gußeisernen Gartenstuhl sitzt, mit ruhiger Autorität spricht, die Worte ganz präzise, der Rücken gerade, die grünen Augen konzentriert.
Erin nimmt Holly jetzt an den Händen, und sie tanzen über das Gras, nun eng zusammen, dann weiter auseinander. Sie drehen sich in der Augusthitze wie Derwische. Das Dröhnen der medizinisch-politischen Diskussion klopft gegen meine Trommelfelle und verschmilzt mit dem Geräusch von Bobs Bienen in Bobs Büschen. Als ich nun Drewe und Erin vergleiche, sehe ich über das Körperliche hinaus. Ihre innersten Unterschiede sind stark, wesentlich. Man kann sie mit einfachen Begriffen unterscheiden: Drewe ist Kontrolle, Erin Chaos. Drewe ist Leistung, Erin Zufall. Erins Blick begegnet ganz kurz dem meinen. Ich versuche, meinen Geist zu leeren, meine Sorge abzuschütteln und zu lächeln.
Aber ich kann es nicht.
Sie dreht sich jetzt langsamer und sieht mir bei jeder Drehung in die Augen. Was ist in diesen Augen? Mitgefühl? Ich glaube schon. In diesen flüchtigen Augenblicken spüre ich eine Intimität von so schmerzhafter Intensität, daß sie fast Gefahr zu laufen scheint, zwischen uns überzuspringen – die Luft zu ionisieren,
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