Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill
Fall zuständige Officer eine rückwirkende Funkzellenauswertung zu ihrem Handy beschafft, die ergeben hatte, dass sie am vergangenen Abend ein Gespräch mit einer Freundin geführt hatte – und dieses Gespräch war um neunzehn Uhr fünfundvierzig beendet worden. Das musste es gewesen sein, was Amy gehört hatte. Damit hatten sie eine präzise Zeitangabe, wann Lorne auf dem Leinpfad gewesen war.
»Amy«, sagte Ben, »haben Sie gehört, worüber sie gesprochen hat?«
»Ich habe einen Satz gehört. Nur einen. Sie hat gesagt: ›O Gott, ich hab genug …‹«
»›O Gott, ich hab genug…‹?«
»Ja.«
»Das heißt, sie war aufgebracht?«
»Ein bisschen genervt vielleicht. Aber sie hat nicht geweint oder so was. Es klang traurig, allerdings nicht, als hätte sie Angst.«
Ben schrieb sich etwas auf. »Und sie war auf jeden Fall allein? Sie haben sonst niemanden bei ihr gehört?«
»Nein«, sagte Amy entschieden. »Sie war allein.«
»Sie hat also gesagt: ›O Gott, ich hab genug‹, und dann …?«
»Dann ist sie einfach weitergegangen. Klingelingeling.« Amy klemmte die Zigarette zwischen die Zähne, kniff im aufsteigenden Rauch die Augen zusammen und wedelte mit der Hand in Richtung Tatort. »Da runter. Dahin, wo es passiert ist. Danach hab ich nichts mehr gehört. Bis sie tot aufgefunden wurde. Und vergewaltigt, nehme ich an. Ich meine, darum geht’s ja meistens. Männer und ihr Hass auf Frauen.«
Und vergewaltigt, nehme ich an . Zoë schaute aus dem Fenster hinaus in die Sonne, die auf den Pfad schien, und fragte sich, was unter der Plane war, mit der Lorne zugedeckt war. Wenn sie ehrlich war, hätte sie sich gern vor der Obduktion gedrückt. Aber das konnte sie natürlich nicht. So etwas würde sich im Handumdrehen unter den Kollegen herumsprechen.
Sie blieben noch eine Weile sitzen und redeten mit Amy, doch abgesehen von dem Telefongespräch hatte sie zu den Ermittlungen nichts weiter beizutragen. Schließlich stand Ben auf. »Sie haben uns sehr geholfen. Vielen Dank.«
Zoë folgte ihm. Er war schon an Deck, und sie war noch in der Kombüse, als ein lautes, vielsagendes Husten hinter ihr ertönte. Sie drehte sich um und sah, dass Amy lächelnd einen Finger an die Lippen hielt. »Was ist?«
»Er«, tuschelte Amy und deutete mit dem Finger nach oben. »Hat keinen Sinn, dass Sie Ihre Zeit mit ihm verschwenden. Er ist schwul. Das sieht man an der Art, wie er seine Sachen trägt.«
Zoë schaute zur Treppe hinüber. Ben wartete an Deck in der Sonne, und sein Schatten reichte ein kleines Stück weit die Treppe herunter. Sie sah seine Schuhe, sauber geputzt, teuer. Es gelang ihm, seinen Anzug – wahrscheinlich von der Stange bei Marks & Spencer – so zu tragen, als sei er von Armani. Amy hatte recht: Er sah aus wie jemand aus einer Aftershave-Anzeige. »Über so etwas sollten wir nicht reden«, sagte sie leise. »Nicht unter diesen Umständen.«
»Ich weiß. Aber er ist es doch, oder?« Amy lächelte. »Na los. Er muss es sein.«
»Ich hab wirklich keine Ahnung. Über so was hab ich noch nie nachgedacht. So.« Sie sah auf die Uhr. »Ich muss los. Danke, Amy. Sie haben mir reichlich Stoff zum Nachdenken gegeben.«
5
Sally war bestrebt, am Wochenende nicht zu arbeiten, aber der Job, den sie am Sonntag hatte, wurde gut bezahlt und war nicht so einsam wie die anderen, denn die Agentur setzte sie mit zwei anderen Putzfrauen zusammen ein. Marysien´ka und Danuta, zwei gutmütige Blondinen aus Gdan´sk, die dick geschminkt zur Arbeit kamen und sich die Nägel in dem neuen koreanischen Nagelstudio in der Westgate Street machen ließen. Sie konnten den pinkfarben lackierten Honda Jazz der Agentur benutzen, auf dem das HomeMaids-Logo in Lila klebte. Marysien´ka fuhr immer; ihr Freund hatte einen Job bei der First Bus Company, und er hatte ihr beigebracht, sich im britischen Straßenverkehr zu bewegen wie eine Rallye-Fahrerin. »Regel Nummer eins«, behauptete sie, »wer zögert, ist schon gefickt.« Daraufhin kreischte Danuta vor Lachen, während das kleine HomeMaids-Auto in den Verkehr hinausschoss und die gesetzten Fahrer im nördlichen Bath zur Vollbremsung zwang. Die beiden Polinnen waren nette Mädels, die Zigarettenpausen machten und manchmal ein bisschen nach Fish and Chips rochen. Vielleicht wohnten sie zusammen über einem Imbiss. Sally stellte sich immer vor, dass sie nach Feierabend über sie redeten und sich gegenseitig gelobten, niemals so verzweifelt, so geknechtet zu sein wie sie.
Heute holten
Weitere Kostenlose Bücher