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Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Titel: Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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ihr die Hand.
    Amy schüttelte sie und beäugte ihn misstrauisch. Dann nahm sie die Zigarette aus dem Mund und forderte die beiden mit einer Handbewegung auf, sich zu setzen. »Tee gibt’s keinen – der Generator ist mir vor zwei Wochen krepiert, und meine Nummer mit dem Gaskocher wollen Sie wirklich nicht sehen.«
    »Ist schon okay. Wir bleiben nicht lange.« Zoë holte ihr Notizbuch heraus. Nach all den Jahren und trotz aller verfügbaren Technologie sah man es bei der Polizei immer noch gern, wenn alles handschriftlich notiert wurde. Trotzdem machte sie sicherheitshalber immer auch eine Tonaufnahme mit ihrem iPhone. Theoretisch durfte sie das nicht, ohne um Erlaubnis zu bitten, aber sie tat es einfach. Sie hatte eine Technik entwickelt, eine schnelle Handbewegung über ihre Jackentasche, und sie wusste, ohne hinzusehen, wohin sie tippen musste. Ein kurzes Piep-Piep mit den Fingern, und die Tonaufzeichnung lief, während sie so tat, als sei sie mit ihrem Notizbuch beschäftigt. »Unser Constable sagt, Sie hätten da etwas, worüber Sie sprechen möchten.«
    »Ja«, sagte Amy. Ihr Blick war sehr intensiv, denn ihre Augen waren von geplatzten Gefäßen spiralförmig durchzogen. »Ich hab die Leiche gesehen. Viele von uns haben sie gesehen.«
    »Das war unglückselig«, sagte Ben. »Wir tun unser Möglichstes, um Tatorte zu sichern. Manchmal klappt’s nicht.«
    »Wussten Sie«, sagte Amy, »dass man sehen kann, wie die Seele den Körper verlässt? Wenn man angestrengt genug hinschaut, sieht man es.«
    Zoë senkte den Kopf und kritzelte etwas in ihr Notizbuch. Wenn Goods sie hierhergelotst hatte, damit sie sich Geschichten von Seelen und Geistern anhörten, würde sie ihn erschlagen. »Also – Amy. Haben Sie die Seele gesehen? Als sie den Körper verließ?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Sie war schon weg. Schon längst.«
    »Seit wann?«
    »Seit ihrem Tod. Gestern Abend. Sie halten sich nicht mehr auf. Das muss in der ersten halben Stunde passieren.«
    »Und woher wissen Sie, dass es gestern Abend war?«
    »Wegen des Armbands.«
    Ben zog eine Braue hoch. »Wegen des Armbands?«
    »Sie trug ein Armband. Das hab ich gesehen. Als sie die Leiche fanden, hab ich das Armband gesehen.«
    Amy hatte recht. Lorne hatte ein Armband getragen. Ein loses Amulettarmband mit einem versilberten Totenschädel und einem winzigen Besteck: Messer, Gabel und Löffel. Und einer Glückszahl, der »16«, die sie zum Geburtstag bekommen hatte. Die Eltern hatten es bei der Vermisstenanzeige aufgeführt.
    »Was ist mit diesem Armband? Warum ist es wichtig?«
    »Weil ich es gehört habe. Gestern Abend.« Sie nahm wieder einen tiefen Zug, behielt den Rauch in der Lunge und ließ ihn dann in einem langen, bläulichen Strom entweichen. »Man hört alles. Wenn man hier drin sitzt, hört man jeden Laut. Sie benutzen ja alle den Leinpfad, nicht wahr? Man hört die Prügeleien und die Streitereien, die Partys und die Liebespaare. Meistens sind es nur Fahrradklingeln. Gestern Abend war es ein Mädchen, das etwas Klingelndes bei sich trug. Klingeling, machte es.« Sie hielt Daumen und Zeigefinger hoch und klappte sie auf und zu wie einen kleinen Schnabel. »Klingeling.«
    »Okay. Sonst noch was?«
    »Außer dem Klingeling? Nicht viel.«
    »Nicht viel?«
    »Nein. Es sei denn, Sie nehmen das Gespräch dazu.«
    »Das Gespräch?«, wiederholte Ben. »Da hat ein Gespräch stattgefunden?«
    »Am Telefon. Irgendwann kann man hören, dass es ein Telefongespräch ist. In der ersten Zeit, nachdem ich hier eingezogen war, dachte ich immer, sie reden mit einem Geist. Spazieren da vorbei und schwatzen, und niemand antwortet. Es hat ewig gedauert, bis ich es rausgefunden hatte. Mit Technik hab ich nichts am Hut. Ich hab kein Handy, und ich will auch keins. Vielen Dank.« Sie lächelte kurz und höflich, als hätte Ben ihr ein kostenloses Mobiltelefon angeboten, und sie habe sich gezwungen gesehen, es freundlich zurückzuweisen.
    »Und Sie glauben, das war Lorne?«
    »Ich bin sicher, dass sie es war.«
    »Gesehen haben Sie sie nicht?«
    »Nur ihre Füße. Sie trug dieselben Schuhe, die neben der Leiche standen. Die hab ich auch gesehen, als die Leiche gefunden wurde. Ich merke mir so was.«
    »Um welche Zeit war das?«
    »Kurz vor acht? Es war ruhig; der Trubel war vorbei. Ich würde sagen, halb acht? Viertel vor acht?«
    »Sind Sie sicher?«
    »Ich bin sicher.«
    Zoë und Ben wechselten einen Blick. Nachdem Lorne als vermisst gemeldet worden war, hatte der für den

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