Atemlos
gewartet hatte. Sie sagte: »In Lukes Telegramm standen ein paar Worte, die Übles vermuten ließen – Dinge, die ich seit der Revolution nicht mehr zu hören bekommen hatte –, also alarmierte ich Fakhri. Der kennt sich mit Schußwunden aus und hält auch die Fresse.«
Dr. Fakhri untersuchte den Arm, fragte, wann es passiert war, und sagte mir dann, daß die Kugel noch drinsteckte. Er betäubte den Arm, schnitt ihn auf und zog die Kugel heraus, vernähte die Wunde und legte eine Schiene an. Ich sagte: »Hesther, der Doktor soll sich lieber mal Pauls Schulter ansehen. Paul hat vor einem Monat eine Kugel verpaßt bekommen.«
Hesther redete arabisch auf Fakhri ein, der nickte und ging fort. Und dann wollte sie es endlich wissen: »Was ist draußen alles passiert?«
»Kissack ist passiert«, sagte ich. »Und ein Mann namens Lash – und noch vier.« Ich lieferte ihr eine gekürzte Fassung der Ereignisse und schloß: »Aber was wir ohne Luke Byrne angefangen hätten, mag ich mir gar nicht vorstellen.«
»Luke ist ein braver Kerl«, sagte sie schlicht. »Aber worum ging's denn eigentlich?«
»Alle Spuren führen nach England. Ich nehme an, daß Paul die Dinge ins Rollen brachte, aber damit hat er wohl auch gleichzeitig eine Zeitbombe, die zweiundvierzig Jahre lang versteckt lag, zum Ticken gebracht. Ich habe ein paar Fragen zu stellen, und sobald ich die Antworten weiß, geb ich Bescheid.«
»Okay«, sagte sie und stand auf. »Sie können übrigens nicht als Targui verkleidet nach England fliegen.«
Ich zuckte die Achseln. »Wieso nicht? London steckt heutzutage voller Araber, da falle ich überhaupt nicht auf.«
»Unsinn. Morgen kommt ein Schneider und übermorgen hast du einen Anzug. Paul auch.«
Wir blieben vier Tage in Algier, eigentlich nur, weil ich mich von Fakhris Schnitzelei erholen mußte. Ich faulenzte und las die englischen Zeitungen, die Hesther mir besorgte. In Europa nichts Neues – die ganze Welt in einem wildgewordenen Bollerwagen auf dem Weg zur Hölle, das Übliche also.
Einmal sprach ich mit Hesther über Paul. Hesther sagte: »Unglaublich, wie der Kerl sich verändert hat. Viel ruhiger ist er geworden, und längst nicht mehr so neurotisch.«
»Weiß Gott«, lächelte ich. »Aber was er durchgemacht hat, hätte jeden anderen schreiend die Wände hochgetrieben. Merkwürdig.«
Am vierten Tag flogen wir also mit der Air Algérie nach Paris-Orly. Das Flugzeug war – innen – in geschmackvollem Smaragdgrün gehalten. Grün ist zwar vielleicht eine sehr arabische Farbe, aber auf den Bordtapeten waren auch Kutschen und Landschaften aus Killarney dargestellt. Kein großes Rätsel: Die Maschine hatte früher einmal bei der Aer Lingus Dienst getan – und Irland ist ein sehr grünes Land. Jedenfalls kamen wir mit den Kutschenbildern unter arabischer Flagge wohlbehalten in Orly an; da stiegen wir um nach London. In London regnete es, und es sah aus, als hätte es seit meiner Abreise auch keine Stunde aufgehört zu regnen.
32. Kapitel
Von Orly aus hatte ich mir an den Londoner Flughafen Heathrow einen Mietwagen mit Fahrer bestellt, da ich ja mit meinem kaputten Arm nicht selber kutschieren konnte. Ich ließ mich mit Paul ins Post House Hotel bringen, dort waren zwei nebeneinanderliegende Zimmer reserviert, und in dem einen brachte ich nun Paul unter. Paul war natürlich völlig pleite – er besaß nicht mal mehr einen Penny –, aber das war mir nur recht, dann rührte er sich wenigstens nicht vom Fleck. Ich gab ihm auch kein Geld, sagte aber: »Paul, bleib hier, bis ich wiederkomme. Wenn du was brauchst, bestell's auf meine Rechnung. Aber geh nicht aus dem Hotel.«
»Was hast du vor?«
»Ich hab' was zu erledigen«, sagte ich ausweichend.
In der Hotelhalle löste ich eine Handvoll Reiseschecks ein, scheuchte den Fahrer aus einem Klubsessel und gab als Fahrziel Marlow an. Wir fuhren durch die Umgebung von Heathrow mit den vielen Hotels, und ich dachte bei mir, daß das Post House genau die anonyme Karawanserei war, wo sich ein Mann wie Paul gut verstecken ließ. Vorläufig brauchte niemand zu wissen, daß er in England war, und das gleiche galt für mich.
Der Wagen hielt vor Jack Ellis' Haus an, ich ging durch den Vorgarten und klingelte. Judy Ellis machte auf und sah mich mit ungewissem Blick an: »Sie wünschen?«
Jacks Frau hatte ich erst drei- oder viermal gesehen. Die Stafford Sicherheits-Beratungs-GmbH zählt nicht zu den Unternehmen, die die Frauen ihrer Angestellten in das
Weitere Kostenlose Bücher