Atemlos - Toedliches Erbe
schluckte. »Wir hatten sämtliche Versuchsreihen und Blindstudien für DL 6–94 abgeschlossen – halt dich weiter nordöstlich. Wir hatten so hart an dieser Droge gearbeitet. Sie sollte einen Durchbruch auf dem Gebiet der Antidepressiva bedeuten, wo seit zehn Jahren kaum noch eine Entwicklung stattgefunden hatte. Die großartigste Kombination von SSRI und SNRI auf dem Markt.«
An der nächsten Kreuzung bog Rand ab. In diesem Teil der Stadt war der Verkehr spärlicher. Dakota blickte unablässig in den Rückspiegel. Es war unmöglich festzustellen, ob ihnen jemand folgte oder nicht. Nervenaufreibend.
Rand langte herüber und klappte ihre Sonnenblende zurück in die Normalstellung. »Entweder, wir beide machen das, oder du entspannst dich ein wenig. Ich hab alles unter Kontrolle …«, meinte er dann. Ein merkwürdiger Trost, aber … Dakota atmete einmal tief durch, seltsamerweise war sie trotzdem irgendwie beruhigt. »Erzähl weiter«, setzte er hinzu.
»Die Nebenwirkungen waren viel zu schwerwiegend.« Jetzt sprudelte es nur so aus ihr hervor. Die Arme vor der Brust verschränkt, ließ sie sich zurücksinken und versuchte, Ordnung in ihre sich immer weiter aufschaukelnden Gedanken zu bringen. »Wir arbeiteten an vierundneunzig unterschiedlichen Rezepturen in sechs verschiedenen Testreihen. Und ausgerechnet jene Chemikalien, von denen wir so begeistert waren, riefen die schwersten Nebenwirkungen hervor: Euphorie und völligen Hemmungsverlust. Nicht einfach bloß die aphrodisierenden Eigenschaften, sondern völlig unberechenbare emotionale Tiefen und Höhenflüge. Intensive Mordlust, Angst- oder Trauerzustände.«
»Ein verdammt hochwirksames Antidepressivum.«
Er ließ seinem Sarkasmus freien Lauf, aber zumindest hörte er noch immer zu. Dakota fuhr mit einer Hand am Hosenbein ihrer Jeans entlang. Sie fühlte sich, als stünde sie balancierend auf einem Hochseil. Es war das erste Mal, dass er sich ihre Seite der Geschichte überhaupt
anhörte
, und für sie war es ein erlösendes Gefühl, ihm die Wahrheit zu erzählen. Oder zumindest so viel davon, wie ihr im Augenblick möglich war.
»Als selektiver Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer funktionierte es ausgezeichnet. Die offensichtliche Kehrseite war jedoch, dass es überaus suchterzeugend war, sich im Körper anreicherte und daher bereits nach der Einnahme weniger Dosen zum Tod führte. Wir haben hart an seiner Weiterentwicklung gearbeitet, um dadurch seine aggressive Seite abzuschwächen …«
»Aber dachtet ihr nicht: Hey, dabei könnten Menschen ums Leben kommen?«
Sie wand sich. »Es ist wirklich nichts Neues, welch ungeheuren Aufwand man für die Entwicklung eines neuen Medikaments treiben muss, Rand. Solche Schwierigkeiten treten häufiger auf, als du denkst. Außerdem gibt es jede Menge nützlicher Arzneimittel, die ihre Existenz als gefährlichere Variante ihrer selbst begonnen haben. Um sie zu verbessern, ist nichts weiter nötig als Zeit.«
Er erwiderte nichts. Womöglich war er angewidert. Andererseits nahm
er
nicht mal ein Aspirin, wenn er Kopfschmerzen hatte.
Was sie ihm nicht ganz verdenken konnte. Dakota hatte sich mitreißen lassen. Hatte sich von dem Versprechen in Sicherheit wiegen lassen, dass für die Depressiven und Hoffnungslosen eine neue Zeit anbrechen würde.
Sie seufzte. »Natürlich war die FDA nicht einmal mit jener Version einverstanden, von der wir annahmen, sie könnte zugelassen werden. Es war für uns alle ein vernichtender Schlag. Immerhin hatten wir viele Jahre an den verschiedenen Aspekten gearbeitet.«
Dakota zog die Beine unter den Körper. Es fiel ihr leichter, mit Rand zu sprechen, wenn er sie nicht ansah, sie hingegen konnte ihn dank der Armaturenbrettbeleuchtung nach Belieben betrachten. Der Wagen war ein Kokon der Stille – man hörte nur das Rauschen der Reifen auf dem Asphalt.
Sie sah Rands Blick erst zum Rückspiegel, dann zum Seitenspiegel zucken, woraufhin er sich merklich entspannte. »Keine Pharmafirma würde ein Medikament herstellen, das sowohl im höchsten Maße suchterzeugend
als auch
ein sicheres Todesurteil ist. Und erst recht nicht Rydell, das damals bereits wegen eines sich über zehn Jahre hinschleppenden Strafverfahrens finanzielle Probleme hatte. Ganz zu schweigen davon, dass das Mittel bei hohen Temperaturen instabil war und überaus instabil in Höhen über eintausend Fuß. Was es für den Lufttransport völlig ungeeignet machte. Vertrieb unmöglich, selbst wenn alles andere
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