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Atemschaukel

Titel: Atemschaukel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Mueller
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den Beinen trommeln. Das Hündchen lief vorbei, als wäre ich nur der Schatten vom Zaun. Es hatte recht, ich war auf diesem Heimweg ins Lager nichts weiter als ein gewöhnlicher russischer Gegenstand in der Dämmerung.
    Das weiße Taschentuch aus Batist hatte noch niemand benutzt. Auch ich habe es nie benutzt, aber wie eine Art Reliquie von einer Mutter und einem Sohn bis zum letztenTag im Koffer aufbewahrt. Und schließlich auch nach Hause mitgenommen.
    Im Lager hatte so ein Taschentuch nichts zu suchen. Ich hätte es all die Jahre auf dem Basar für etwas Essbares tauschen können. Ich hätte Zucker oder Salz dafür bekommen, vielleicht sogar Hirse. Die Versuchung war da, der Hunger blind genug. Was mich abhielt: Ich glaubte, das Taschentuch ist mein Schicksal. Wenn man sein Schicksal aus der Hand gibt, ist man verloren. Ich war mir sicher, der Abschiedssatz meiner Großmutter ICH WEISS DU KOMMST WIEDER hat sich in ein Taschentuch verwandelt. Ich schäme mich nicht, wenn ich sage, das Taschentuch war der einzige Mensch, der sich im Lager um mich kümmerte. Ich bin mir sicher, auch heute noch.
    Manchmal kriegen die Dinge eine Zartheit, eine monströse, die man von ihnen nicht erwartet.
    Am Kopfende hinterm Kissen ist der Koffer und unterm Kissen im Brottuch das vom Mund abgesparte, unschätzbar wertvolle Brot. Und wo auf dem Kissen das Ohr liegt, piepst es eines Morgens. Und man hebt den Kopf und wundert sich, zwischen Brottuch und Kissen zappelt ein hellrosa Knäuel, groß wie das eigene Ohr. Sechs augenlose Mäuse, jede kleiner als ein Kinderfinger. Und ihre Haut wie Seidenstrümpfe, die zucken, weil sie aus Fleisch sind. Mäuse aus dem Nichts geboren, ein Geschenk ohne Grund. Da war ich plötzlich stolz auf sie, als ob auch sie stolz auf mich wären. Stolz, weil mein Ohr Kinder bekommen hatte, weil sie trotz der 68 Betten in der Baracke bei mir geboren wurden und ausgerechnet mich zum Vater haben wollten. Sie lagen alleine da, eine Mutter habe ich nie gesehen. Ich genierte mich vor ihnen, weil sie mir so maßlos trauten. Ichspürte sofort, dass ich sie liebte und dass ich sie loswerden muss, und zwar sofort, bevor sie Brot fressen und bevor die anderen aufwachen und etwas merken.
    Und ich hob das Knäuel Mäuse aufs Brottuch, hielt die Finger wie ein Nest, um ihnen ja nicht wehzutun. Ich schlich aus der Baracke, trug das Nest über den Hof. Meine Füße zittrig vor Eile, dass mich ja kein Wachsoldat sieht und kein Wachhund riecht. Doch meine Augen wichen nicht vom Tuch, dass mir beim Gehen ja keine Maus herunterfällt. Dann stand ich in der Latrine und schüttelte das Tuch ins Loch. Die Mäuse plumpsten in die Grube. Kein Pieps. Ich atmete nur einmal tief, geschafft.
    Als ich neun Jahre alt war, fand ich auf einem alten Teppich im hintersten Winkel der Waschküche ein neugeborenes graugrünes Kätzchen mit verklebten Augen. Ich nahm es in die Hand und streichelte ihm den Bauch. Es fauchte und biss mir in den kleinen Finger, ließ nicht los. Da sah ich Blut. Da drückte ich mit Daumen und Zeigefinger – ich glaube, ich habe ganz zugedrückt, und zwar am Hals. Mir klopfte das Herz wie nach einem Zweikampf. Das Kätzchen, weil es tot war, hatte mich beim Töten ertappt. Dass es keine Absicht war, machte es nur schlimmer. Monströse Zärtlichkeit verstrickt sich anders in Schuld als absichtliche Grausamkeit. Tiefer. Und länger.
    Was das Kätzchen mit den Mäusen gemeinsam hat:
    Kein Pieps.
    Und was das Kätzchen von den Mäusen unterscheidet:
    Bei den Mäusen war es Absicht und Mitleid. Bei dem Kätzchen die Verbitterung, dass man streicheln will und gebissen wird. Das ist das Eine. Zugzwang das andere. Wenn man das Drücken anfängt, kann man nicht zurück.

Von der Herzschaufel
    Es gibt viele Schaufeln. Aber die Herzschaufel ist mir die liebste. Nur ihr habe ich einen Namen gegeben. Mit der Herzschaufel kann man nur Kohle, und nur lockere Kohle, aufladen oder abladen.
    Die Herzschaufel hat ein Schaufelblatt, das ist so groß wie zwei Köpfe nebeneinander. Es ist herzförmig und tief gewölbt, an die fünf Kilo Kohle oder der ganze Hintern des Hungerengels hätten darin Platz. Das Schaufelblatt hat einen langen Hals mit einer Schweißnaht. Im Vergleich zu diesem großen Blatt hat die Herzschaufel einen kurzen Stiel. Er endet in einem Querholz.
    Mit der einen Hand packt man den Hals und mit der anderen das Querholz oben am Stiel. Aber ich würde sagen, unten am Stiel. Denn bei mir ist die Herzschaufel oben, und

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