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Atemschaukel

Titel: Atemschaukel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Mueller
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Uhr war Schichtschluss und seit einer Stunde heller Tag. Die Sonne war geschrumpft, aber rabiat, ihre Kugel kompakt wie ein Kürbis. In meinen Augen juckte Feuer, alle Kopfnähte pochten. Auf dem Heimweg ins Lager war allesgrell. Die Halsadern tickten und wollten platzen, die Augäpfel kochten in der Stirn, das Herz trommelte in der Brust, die Ohren knackten. Der Hals quoll wie heißer Teig und wurde steif. Kopf und Hals wurden eins. Die Schwellung griff auf die Schultern über, Hals und Rumpf wurden eins. Das Licht durchbohrte mich, ich musste schnell ins Dunkle der Baracke. Aber es hätte sackdunkel sein müssen, auch das Fensterlicht war mörderisch. Ich zog mir das Kissen über den Kopf. Gegen Abend kam Linderung, aber auch die Nachtschicht. Als es dunkel wurde, musste ich wieder unter den Scheinwerfer in die PEK-Wanne. In der zweiten Nachtschicht kam der Natschalnik mit einem Eimer, in dem eine knödlige graurosa Paste war. Wir schmierten sie uns, bevor wir ins Bassin stiegen, ins Gesicht und an den Hals. Sie trocknete gleich und blätterte wieder ab.
    Am Morgen, als die Sonne aufging, tobte der Teer in meinem Kopf noch schlimmer. Ich tappte ins Lager wie eine siechende Katze, diesmal direkt zur Krankenbaracke. Die Trudi Pelikan streichelte mir die Stirn. Die Feldscherin zeichnete mit den Händen in der Luft einen noch dickeren Kopf und sagte SONZE und SWET und BOLID. Und die Trudi Pelikan weinte und erklärte mir etwas von photochemischen Mukosereaktionen.
    Was ist das.
    Tageslichtvergiftung, sagte sie.
    Sie gab mir auf einem Meerrettichblatt einen Klumpen selbstgekochter Salbe aus Ringelblumen und Schweineschmalz, zum Einreiben, damit die wunde Haut nicht platzt. Die Feldscherin sagte, ich sei zu anfällig für die PEK-Wanne, sie werde mich für drei Tage krankschreiben und vielleicht mit Tur Prikulitsch sprechen.
    Ich blieb drei Tage im Bett. Halb schlafend, halb wach schwemmten mich die Fieberwellen nach Hause, in die Sommerfrische auf die Wench. Hinter den Tannen geht die Sonne ganz früh wie ein roter Ballon auf. Ich schaue durch den Türspalt, die Eltern schlafen noch. Ich komme in die Küche, auf dem Küchentisch lehnt ein Rasierspiegel an der Milchkanne. Meine Fini-Tante, dünn wie ein Nussknacker gebaut, geht mit der Brennschere zwischen Gasherd und Spiegel hin und her. In ihrem weißen Organzakleid onduliert sie sich die Haare. Dann kämmt sie mich mit den Fingern und bändigt meine Haare, wo sie immer noch abstehen, mit Spucke. Sie nimmt mich an der Hand, wir gehen Margareten pflücken für den Frühstückstisch.
    Taufeuchtes Gras reicht mir bis in die Achseln, es knistert und summt, die Wiese ist voll mit weißfransigen Margareten und blauen Glockenblumen. Ich pflücke nur Spitzwegerich, der heißt Schießkraut, weil man aus seinem Stiel eine Schlinge machen und den Samenkolben weit wegschießen kann. Ich schieße auf das grellweiße Organzakleid. Aber dann sitzt auf einmal zwischen dem Organza und genauso weißen Unterkleid um den Unterleib der Fini-Tante ein brauner Schlauch aus festgekrallten Heuschrecken. Sie lässt ihren Margaretenstrauß fallen, streckt die Arme von sich und erstarrt. Und ich schlüpfe unter ihr Kleid und schaufle die Heuschrecken mit den Händen weg, immer schneller. Sie sind kalt und schwer wie nasse Schrauben. Sie zwicken, es gruselt mich. Über mir ist keine Fini-Tante mit ondulierten Haaren, sondern ein Koloss aus Heuschrecken auf zwei mageren Beinen.
    Unterm Organzakleid war es das erste Mal, dass ich verzweifeltschaufeln musste. Jetzt lag ich in einer Baracke und rieb mich drei Tage mit Ringelblumensalbe ein. Alle anderen gingen weiter ins PEK-Bassin. Nur ich wurde, weil ich zu anfällig war, ab nun von Tur Prikulitsch in den Schlackekeller geschickt.
    Dort blieb ich.

Jede Schicht ist ein Kunstwerk
    Wir sind zu zweit, der Albert Gion und ich, zwei Kellerleute unter den Dampfkesseln der Fabrik. In der Baracke ist der Albert Gion aufbrausend. Im dunklen Keller ist er bedächtig, aber bestimmend, wie Melancholiker sind. Vielleicht war er nicht immer so und ist im Keller so geworden, wie der Keller ist. Er arbeitet schon lange hier. Wir reden nicht viel, nur was sein muss.
    Der Albert Gion sagt: Ich kipp drei Wagen, dann kippst du drei.
    Ich sage: Dann putze ich den Berg.
    Er sagt: Ja, danach gehst du stoßen.
    Zwischen Kippen und Stoßen geht die Schicht hin und her, bis die Hälfte um ist, bis der Albert Gion sagt:
    Wir werden eine halbe Stunde schlafen unter dem

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