Atemschaukel
Brett, unterm Siebener, dort ist es ruhig.
Und dann kommt die zweite Hälfte.
Der Albert Gion sagt: Ich kipp drei Wagen, dann kippst du drei.
Ich sage: Dann putze ich den Berg.
Er sagt: Ja, danach gehst du stoßen.
Ich sage: Wenn nun der Neuner voll ist, werd ich gehen und stoßen.
Er sagt: Nein, du kippst jetzt, ich gehe stoßen, auch der Bunker ist voll.
Nach Schichtende sagt entweder er oder ich: Komm putzen, wir wollen den Keller rein übergeben.
Nach einer Woche im Keller stand Tur Prikulitsch wieder in der Rasierstube hinter mir im Spiegel. Ich war zur Hälfte rasiert, und er hob den öligen Blick und die sauberen Finger und fragte:
Wie ist es denn bei euch im Keller.
Gemütlich, sagte ich, jede Schicht ist ein Kunstwerk.
Er lächelte über die Schulter des Rasierers, hatte aber keine Ahnung, dass es stimmte. Man hörte den dünnen Hass in seinem Ton, seine Nasenflügel schimmerten rosa, in seinen Schläfen Marmoradern.
Wie dreckig gestern dein Gesicht war, sagte er, und wie aus allen Löchern deiner Kappe die Därme hingen.
Macht ja nichts, sagte ich, Kohlestaub ist pelzig und fingerdick. Aber nach jeder Schicht ist der Keller rein, denn jede Schicht ist ein Kunstwerk.
Wenn ein Schwan singt
Nach meinem ersten Tag im Keller, sagte die Trudi in der Kantine: Jetzt hast du kein Pech mehr, ist es nicht schöner unter der Erde.
Dann erzählte sie, wie oft sie im ersten Lagerjahr auf der Baustelle beim Ziehen des Kalkwagens die Augen zugemacht und geträumt hat. Und wie sie jetzt die nackigen Toten aus dem Sterbezimmer in den Hinterhof auf die Erde legt, wie frischgeschältes Holz. Sie sagte, dass sie auch jetzt, wenn sie die Toten zur Tür hinausträgt, oft die Augen zumacht und dasselbe träumt wie damals am Kalkwagen im Pferdegeschirr.
Was, fragte ich.
Dass ein reicher, schöner, junger – schön und jung muss er nicht sein – sagte sie, amerikanischer Schweinefleischkonservenfabrikant sich in mich verliebt – verliebt muss er nicht sein – sagte sie, aber so reich, dass er mich freikaufen und von hier herausheiraten kann. Das wäre wirklich Glück, sagte sie. Und wenn er dann noch für dich eine Schwester hätte.
Schön und jung muss sie nicht sein, verliebt muss sie nicht sein, wiederholte ich. Und dann lachte die Trudi Pelikan überspannt. Und ihr rechter Mundwinkel kam ins Flattern und verließ ihr Gesicht, als sei dort, wo das Lachen an die Haut gebunden ist, der Faden abgerissen.
Darum erzählte ich der Trudi Pelikan meinen wiederkehrenden Traum vom Nachhausereiten auf dem weißenSchwein nur kurz. Nur in einem Satz und ohne das weiße Schwein:
Stell dir vor, sagte ich, ich träume oft, dass ich auf einem grauen Hund durch den Himmel nach Hause reite.
Sie fragte: Ist es einer von den Wachhunden.
Nein, ein Dorfhund, sagte ich.
Die Trudi sagte: Warum musst du reiten, fliegen geht schneller. Ich träume nur, wenn ich wach bin. Wenn ich die Leichen in den Hinterhof lege, möchte ich von hier wegfliegen können, wie ein Schwan bis nach Amerika.
Kannte auch sie vielleicht den Schwan auf dem ovalen Schild vom Neptunbad. Ich fragte sie nicht, aber ich sagte:
Wenn ein Schwan singt, ist er immer heiser, man hört sein geschwollenes Gaumenzäpfchen.
Von den Schlacken
Im Sommer habe ich mitten in der Steppe einen Damm aus weißer Schlacke gesehen und an die Schneespitzen der Karpaten gedacht. Kobelian sagte, der Damm sollte einmal eine Straße werden. Die weiße Schlacke war festgebacken, hatte eine körnige Struktur, wie Kalkblasen und Muschelsand. In verstreuten Flecken färbte sich das Weiße rosa, oft so stark, dass es grau wurde am Rand. Ich weiß nicht, warum Rosa ins Graue gealtert so schmeichelnd und besitzergreifend schön ist, nicht mehr mineralisch, sondern traurigmüde wie Menschen. Ob das Heimweh eine Farbe hat.
Die andere weiße Schlacke lag in mannshohen Haufen als Hügelkette neben der Jama. Sie war nicht festgebacken, an den Rändern wuchs Gras. Wenn es beim Kohleschaufeln stark regnete, suchten wir darin Unterschlupf. Wir höhlten uns Löcher in die weiße Schlacke. Sie rieselte nach und packte uns ein. Und im Winter dampfte auf ihr der Schnee, und wir wärmten uns in den Löchern und waren dreimal versteckt, in der Schneedecke, in der Schlacke und in der Pufoaika-Montur. Es roch anheimelnd nach Schwefel, der Dampf quoll durch alles. Wir saßen bis über den Hals in den Löchern, mit der Nase wie voreilig gekeimte Blumenzwiebeln über der Erde und der schmelzenden
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