Atevi 1 - Fremdling
obwohl sie wahrscheinlich keine Vorstellung hatten vom Begriff der Zuneigung. Er hatte sich an sie gewöhnt, und nun waren sie fort.
Aber deswegen Groll zu hegen gegen Tano und Algini, war auch nicht fair, und so bemühte er sich, der atevischen Form von Höflichkeit zu entsprechen und sich seine Vorbehalte den beiden Fremden gegenüber nicht anmerken zu lassen. Er setzte eine zufriedene Miene auf, lehnte sich zurück und schaute auf die Wolken, die unter der Tragfläche vorbeizogen. Er wünschte, die Maschine nähme Kurs auf Mospheira und flöge ihn in Sicherheit.
Und er wünschte, Banichi und Jago wären kulturell oder biologisch so veranlagt, daß sie unter den Worten ›Freund‹ oder ›Verbündeter‹ dasselbe verstünden wie er. Doch das war so aussichtslos wie die Hoffnung darauf, Mospheira zu erreichen und barfüßig über die Sandstrände der Insel laufen zu können.
Der Magen fing an zu rebellieren. Bren war mittlerweile überzeugt, daß es ein schwerwiegender Fehler gewesen war, Deana Hanks nicht angerufen und von dem Anschlag gegen ihn unterrichtet zu haben. Unmittelbar oder am Tag danach hätte es dafür Gelegenheit gegeben. Jetzt mußte er davon ausgehen, daß Banichi und Jago angewiesen waren, einen solchen Anruf zu verhindern.
Aber er hatte nicht rechtzeitig daran gedacht; er konnte sich nicht erinnern, was ihm durch den Kopf gegangen war. Ihm schien es nun, als habe er unter Schock gestanden, als habe er den Vorfall nicht wahrhaben oder in seiner Bedeutung nicht ernst nehmen wollen. Er hatte auf den Anruf verzichtet, um bei Hanks nicht den Eindruck zu erwecken, daß er allein nicht mehr zurande kam und auf seinem Posten fehlbesetzt war.
Inzwischen war er tatsächlich außerstande, selbst aktiv zu werden, es sei denn er riskierte den Bruch mit Tabini, es sei denn, er würde, am Ziel angekommen, Zetermordio schreien und den nächstbesten Ateva bitten, ihn vor dem Aiji zu retten.
Verrückter Gedanke, ebenso verrückt wie das Ansinnen, Tabinis Einladung nachträglich auszuschlagen oder auch nur zu versuchen, von Malguri aus nach Mospheira zu telefonieren, denn ein solcher Anruf müßte über die Schaltstelle am Bu-javid vermittelt und vom Sicherheitsdienst genehmigt werden.
Wie dem auch sei, das Büro auf Mospheira würde sich bald – in einer oder spätestens zwei Wochen – wundern, warum er nichts von sich hören ließ, man würde sich Sorgen machen und das Auswärtige Amt einschalten. Und es würde eine weitere Woche vergehen, bis das Auswärtige Amt auf Mospheira sämtliche zur Verfügung stehenden Kanäle ausgeschöpft hätte und, weil ergebnislos geblieben, beschließen würde, den Präsidenten zu informieren, der dann nach Absprache mit seinen Beratern die Angelegenheit zur Chefsache erklären, eigene Nachforschungen anstellen und womöglich mit Tabini direkt Kontakt aufnehmen würde.
Es würde also insgesamt ein guter Monat ins Land gehen, bevor Mospheira eine zuverlässige Nachricht vom Verschwinden des Paidhi erreichte.
Es machte Bren beklommen, sich eingestehen zu müssen, daß er Tabini und das, was in seinem Umfeld geschah, doch nicht so gut kannte und ausrechnen konnte wie geglaubt. Und er konnte nicht länger so naiv sein und verhehlen, daß man ihn gekidnappt hatte und womöglich auf Nimmerwiedersehen verschleppte.
Eines vermißten Paidhi wegen, der sich womöglich einen unverzeihlichen Fehler zu Schulden hatte kommen lassen, würde auf Mospheira niemand den Vertrag mit Shejidan aufs Spiel setzen.
Nein, sie würden ihn nicht zurückverlangen, sondern einfach nur für Ersatz sorgen, einen neuen Paidhi so schnell und gründlich wie eben möglich ausbilden und ihn anweisen, vorsichtiger zu sein als der gescheiterte Vorgänger.
Ach, wie sehr hatte er sich doch getäuscht zu glauben, Tabini als den Ateva, der er war, zu durchschauen und über seine Interessen Bescheid zu wissen. Und er war ja auch all seinen Vorschlägen gegenüber aufgeschlossen gewesen – was den Schienenverkehr anging, das Raumfahrtprogramm, die medizinische Forschung oder die Computerisierung der Versorgungssysteme. Tabini hatte sich nie widersetzt oder auch nur Einspruch erhoben, was ja durchaus zu erwarten gewesen wäre; nein, er hatte immer nur aufmerksam zugehört und intelligente Fragen gestellt, so wie alle Aijiin vor ihm der Vernunft den Vorrang gegeben und Einsicht gezeigt hatten in die Notwendigkeit der Verschränkung von ökologischem und technischem Fortschritt – ein Konzept, das die Atevi
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