Atevi 1 - Fremdling
schnell überzeugt hatte.
Umgekehrt waren von Seiten der Aijiin nie unannehmbare Forderungen, überzogene Wünsche oder Ansprüche an die Menschen gestellt worden. Jüngstes Beispiel war der Versuch, wohlgemerkt: der taktvolle Versuch, den Leuten auf Mospheira klarzumachen, daß die Kommerzialisierung von Fleischprodukten für die Ragi – im Unterschied zu den Nisebi – ein Tabu war. Die kulturelle Annäherung wurde von beiden Seiten vorangetrieben. Mospheira verlegte sich auf den Hochseefischfang, für den es keine Schonzeiten gab, und machte somit seinen Gastgebern auf diesem Planeten deutlich, daß man ihre Sensibilitäten respektierte und entsprechend umzudenken bereit war, so wie auch die Atevi Bereitschaft gezeigt hatten, sich auf die Menschen einzustellen.
Bren hatte als Paidhi großen Anteil an solchen Vermittlungsbemühungen gehabt, und manchmal war er sich dabei vorgekommen wie jener mythische Held, der einen großen Felsbrocken bergauf wuchten und immer wieder hinnehmen mußte, daß gewonnener Boden verlorenging.
Inzwischen standen die Atevi an der Schwelle zur bemannten Raumfahrt. Sie nutzten bereits die Möglichkeiten der Kommunikation via Satellit. Es stand ihnen ein verläßliches Leichtraketensystem zur Verfügung. Mit ratgebender Unterstützung seitens der Menschen wurde an der Entwicklung von Materialien gearbeitet, mit denen es möglich sein würde, einen großen Sprung nach vorn zu tun – hin zu kontrollierten, antriebsgestützten Landemöglichkeiten, die den Menschen damals, als sie auf dem Planeten niedergingen, noch nicht zur Verfügung gestanden hatten. Was in dieser Richtung erforscht wurde, war auch für Bren Neuland, das er während seiner sogenannten Herbstferien zu beackern versuchte, um sich vorzubereiten auf jenen Bericht, den er irgendwann in den nächsten fünf Jahren vorzulegen hatte – und hoffentlich würde vorlegen können. Voraussetzung war unter anderem, daß die geplante Erprobung stärkerer Triebswerksysteme Erfolge zeitigte.
Dabei war dieser Entwicklungsschritt nicht wirklich nötig. Aber das Büro auf Mospheira meinte: Laß sie nur machen; sollen sie doch die Schubkraft zu steigern versuchen. Über Starts mit herkömmlichen Raketen und bemannten Kapseln würden die Atevi Erfahrungen sammeln können – nicht zuletzt im Hinblick auf die politischen und emotionalen Investitionskosten der Raumfahrt. Und Atevi sahen sich gern in der Rolle von heldenhaften Pionieren. Diese Entscheidung war vor allem kulturpolitisch motiviert, was Bren ärgerlich und ungeduldig machte, denn er wollte als Paidhi nicht nur Wegbereiter, sondern auch Nutznießer der Raumfahrt sein und selbst mit ins All fliegen, solange er noch jung genug dazu war. Das war sein Geheimnis, sein Traum, und er hoffte darauf, als Vertrauter der Atevi die Chance zu erhalten, mitfliegen zu dürfen.
Das war sein Traum. Der Alptraum war weniger konkret, bloß eine düstere Vorahnung, die ihn mitunter beschlich. Darüber hatte er auch schon mit Hanks und anderen Kollegen des Büros gesprochen. Er fürchtete, daß der allmähliche, Stück für Stück vorgenommene Technologietransfer an die Atevi zu unvorhersehbaren Folgen für die Menschen führen könnte, denn der Verstand der Atevi funktionierte nun einmal anders als der der Menschen; sie hatten womöglich eine ganz andere Vorstellung von Fortschritt. Was ihnen an Know-how scheibchenweise an die Hand gegeben wurde, ließ sich auch auf eine Weise verwerten, die den Interessen der Menschen zuwiderlief. Die Atevi waren durchaus erfinderisch, und sie würden sich nicht vor jeder Innovation mit der Kommission für Technologie und Entwicklung auf Mospheira beraten.
Dem Himmel sei dank, daß ihre unabhängigen Forschungen noch keine sprengkopfbestückten Interkontinentalraketen oder Atombomben hervorgebracht hatten.
Zwischen Wolkenlücken sah er das Land unter sich weggleiten, bebaute Äcker, Weideflächen und Wälder. Im Hintergrund tauchten wie schroffe Inseln die schwarzen und schneebedeckten Bergspitzen des Bergid-Massivs aus Nebelschwaden auf. Er flog über Landschaften hinweg, die kein Mensch vor ihm gesehen hatte. Aber schon bald verhüllten sie sich unter einer vom Meer heraufziehenden, gerippten Wolkendecke, als wollten sie wie ihre atevischen Bewohner Geheimnisse vor ihm hüten.
Um sich zu beschäftigen, kramte Bren seinen Computer aus dem Gepäck, setzte sich an den Tisch und rief die Stichworte und Notizen auf, die er gesammelt hatte zur Vorbereitung eines
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