Atevi 1 - Fremdling
Bahnsteig unterhalb des Burgkomplexes zur Verfügung.
Überall standen Wachposten, und der Fahrdienst war rund um die Uhr in Bereitschaft, denn nicht einmal die Einsatzleitung wußte, wer wann hinausfahren oder ankommen würde.
Auf dem Gleis wartete ein Wagen, der wie ein Frachtwaggon aussah. Er würde sich unterwegs von keinem anderen Frachtwaggon unterscheiden, abgesehen von der Registrationsnummer, die ständig geändert wurde.
Es war Tabinis Wagen, im Innern luxuriös gepolstert, ein Konferenzraum auf Rädern. Banichi ging zielstrebig darauf zu.
»Der eine oder andere vom Personal muß doch wissen, was hier abläuft«, sagte Bren. Er kannte den Wagen, fuhr regelmäßig einmal im Jahr zum Flughafen damit, wenn er Urlaub machte und nach Hause zurückkehrte. Um so unheimlicher war es ihm, jetzt unter Lebensgefahr damit wegzufahren .
»Der Fahrdienst weiß, daß es zum Flughafen geht«, antwortete Banichi und kontrollierte die ausgestellten Papiere. »Machen Sie sich keine Sorgen, Nadi Bren. Ich versichere Ihnen, daß wir Sie nicht mit dem Gepäck vertauschen werden.«
Bren hatte für solche Scherze keinen Sinn. Nervös betrat er den fensterlosen Wagen, setzte sich in einen weich gepolsterten Sessel am rückwärtigen Ende und starrte auf einen Monitor, auf dem das von einer Überwachungskamera aufgenommene Bild vom Bahnsteig wiedergegeben wurde. Das Gefühl, gefangen zu sein, war übermächtig; er wähnte sich lebendig begraben, ohne Aussicht darauf, sich jemals wieder einer Menschenseele mitteilen zu können. Auf Mospheira wußte niemand davon, daß er abreiste, und jetzt war es zu spät für einen Anruf. Er könnte allenfalls noch auf die Schnelle einen Brief an Hanks schreiben, aber ob ihn Banichi aufgeben würde, war fraglich.
»Fahren Sie mit?« fragte er Banichi.
»Selbstverständlich.« Banichi schaute auf den Monitor. »Ah, da ist sie ja.«
Aus dem Aufzug rollte ein Karren, voll beladen mit weißen Plastikkisten und angeschoben von Jago. Wenig später tauchte Jago in natura an der Schwelle des Wagens auf und ließ sich von Banichi helfen, den Karren hineinzubugsieren. Bren stand auf, um selbst mit Hand anzulegen, aber schon war draußen Tano herbeigeeilt, und zu dritt brachten sie das Gepäck in den Wagen.
So viel Gepäck – Bren fürchtete, man habe seine ganze Wohnung leergeräumt, es sei denn, Dreiviertel der Fracht gehörte zu Banichi und Jago. Die Kisten blieben auf dem Karren, der an die Seitenwand geschoben und mit einer Spinne abgesichert wurde.
Einspruch zu erheben war zwecklos, und kritische Fragen zu stellen, würde jetzt nur für Mißstimmung sorgen. Bren setzte sich wieder und blieb stumm, während Banichi und Jago am Ausstieg standen und sich mit einem Wachposten unterhielten.
Wenig später kehrten sie zurück und sagten, daß die Zugmaschine unterwegs sei und in Kürze vor den Wagen gekoppelt würde. Tano bot Bren einen Drink an, und Algini kam mit einem Schriftstück, das Banichi zu unterschreiben hatte.
Was hat das nun wieder zu bedeuten? fragte sich Bren im stillen. Sollte damit seine Exilierung besiegelt werden? Sein Gang ins Gefängnis der sterbenden Aiji-Mutter, jener notorisch verbitterten Alten, die zweimal gescheitert war bei der Wahl zum Aiji und – Gerüchten nach – in die Verbannung geschickt worden war, weil sie Tabini beleidigt hatte…
Schnell stieg der Jet auf und überflog die nach allen Seiten hin ausbordende Stadt Shejidan. Im Meer der Ziegeldächer ließen sich manche der größeren Bauten identifizieren – das Einwohnermeldeamt, das Stammhaus des Landwirtschaftsverbands, der langgezogene Komplex der Stahlhütte, der Turm von West-Montan oder das Verwaltungsgebäude der Fluggesellschaft Patanadi. Die Tragflächenspitze der kurvenden Maschine neigte sich in Richtung auf das Bu-javid mit seinen Terrassen und Gärten. Bren glaubte, den Hof erkennen zu können, der vor seiner Wohnung lag, und fragte sich bang, ob er jemals dorthin zurückkehren würde.
Bald war die Flughöhe erreicht – oberhalb des Luftraums für den übrigen Flugverkehr. Tano servierte einen Drink, beflissen, wie es seine Art war. Bren konnte ihn nicht leiden, denn Tano hatte seine Diener verdrängt, die Zeit seines Aufenthaltes in Shejidan um ihn gewesen waren, mit denen er sich immer gut verstanden hatte und die jetzt, vermutlich ohne jede Erklärung, abgeschoben worden waren auf einen anderen Posten. Das war nicht fair, weder den beiden noch ihm, Bren, gegenüber. Er mochte sie,
Weitere Kostenlose Bücher