Atevi 1 - Fremdling
eine wunderschön ausgebaute Paßstraße hinauf zum Mount Allan Thomas. Ein angenehmes Fahren, fast so schön wie das Gleiten auf der Piste bergab.
Aber dieses…
… dieses Fahrzeug hier war nicht einmal ausreichend gefedert. Es holperte und schlitterte in den Kurven.
Krampfhaft umklammerte er den Haltegriff mit der einen und den Computer mit der anderen Hand, damit er nicht zu Boden fiel. Vielleicht, so dachte er, war es doch ratsam, den Ausbau der Bergstraßen zu empfehlen.
Die Fahrt über die holprige, vom Regen ausgewaschene Piste dauerte nun schon über eine Stunde. Der Wagen quälte sich auf Haarnadelkurven steil nach oben, und immer wieder drehten die Räder auf losem Schotter durch. Der graue Nebel wurde dichter und dichter. Es schien als schaukelte der Wagen durch einen grauen Raum. Die Knöchel der Hand, mit der Bren den Griff umklammert hielt, waren weiß angelaufen. Er wagte es nicht, aus dem Fenster zu sehen. Da war ohnehin nichts zu erkennen, und das machte ihn schwindeln.
Wie lange würde es wohl dauern, bis man sie fände, wenn der Wagen die nächste Kurve verfehlte und in die Tiefe stürzte?
Ein tiefes Schlagloch. Es schleuderte ihn aus dem Sitz. »Himmel!«
Der Chauffeur warf ihm einen verdutzten Blick über den Rückspiegel zu. Bren preßte die Lippen aufeinander. Banichi unterhielt sich mit dem Fahrer, der immer wieder über die Schulter schaute, um seinem Gesprächspartner in die Augen zu sehen.
»Bitte«, flehte Bren. »Schauen Sie nach vorn, Nadi.«
Schotter spritzte unters Blech. Die rechte Seite sackte ab, richtete sich aber mit einem Ruck wieder auf.
Nach der nächsten Kurve hob sich ein großer dunkler Schatten vom grauen Hintergrund ab. Dicke Mauern und Türme ragten vor der vom Regen besprenkelten Scheibe auf. Die Straße war nicht zu sehen, nur das mahlende Geräusch der Räder verriet ihm, daß der Wagen auf festem Boden rollte.
»Malguri«, brummte Banichi.
»Eine Festung aus dem dreiundvierzigsten Jahrhundert«, erklärte der Fahrer, »das prächtigste Schmuckstück unserer Provinz… es wird in Stand gehalten vom hiesigen Denkmalverband und dient als Ferienresidenz des obersten Aiji. Zur Zeit wohnt die Aiji-Mutter dort…«
Bren sah die Türme vor der Windschutzscheibe anwachsen und Konturen gewinnen aus dem allgemeinen Grau der Berge, des Sees in der Tiefe und den Wolken. Dann kam auch Farbe hinzu. Von der dunkelgrauen Brustwehr hingen schlaff und regennaß bunte Fahnen herab.
Bren kannte etliche historische Bauten der Atevi. Das Bu-javid in Shejidan war ein Musterbeispiel, und in der Stadt standen noch sehr viel mehr Sehenswürdigkeiten aus jener Zeit, die als Epoche der Landung bezeichnet wurde. Aber dieses Bauwerk hier mit seinen Türmen und Zinnen war ohne Vergleich. Nach Angaben des Fahrers stammte es aus einer sehr viel weiter zurückliegenden Zeit, lange bevor sich die Menschen in das hiesige System verirrt hatten. Bren rechnete schnell nach: Als diese Festung erbaut worden war, hatte noch kein Mensch die Erde verlassen.
Die Scheibenwischer klärten das Bild im rhythmischen Hin und Her; es war, als entstünde aus der Sintflut eine neue Welt, als der Wagen durch einen Torbogen fuhr und auf gepflastertem Weg hin zu einem regengeschützten Säulengang.
Dort hielt der Wagen an. Banichi stand auf und öffnete den Verschlag unmittelbar vor einem schattigen Portal mit offenstehenden Holztüren. Ein halbes Dutzend Atevi eilte ihnen aus beleuchtetem Raum entgegen. Alle trugen einfache, bequeme Kleidung, die Tracht der Landbevölkerung, wie Bren wußte. Doch ihre Stiefel waren ganz nach Waidmanns Art; offenbar wurde hier in dieser Wildnis die Jagd gepflegt, zumindest dann, wenn rüstigere Mitglieder der Aiji-Familie zugegen waren.
Den Computer in der Hand stieg er hinter Banichi aus dem Wagen. Vielleicht, so dachte er, würde demnächst zur Unterhaltung der Gäste eine Jagd veranstaltet. Banichi und Jago wären sicherlich daran interessiert. Er dagegen weniger. Fußmärsche durch stacheliges Dickicht, von der Sonne verbrannt zu werden und das Abendessen über den Flintenlauf ins Visier zu nehmen war seine Sache nicht. Kalte, feuchte Nebelschwaden wirbelten unter dem Vordach um ihn herum, und er machte sich Sorgen um den Computer. Er hoffte, die Begrüßungszeremonie so schnell wie möglich hinter sich zu bringen und ins Trockene zu kommen.
»Der Paidhi«, sagte Banichi und legte ihm seine Hand auf die Schulter. »Bren Cameron, enger Verbündeter von Tabini-Aiji.
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