Atevi 1 - Fremdling
schön, dann also kein Käsekuchen.« Er war bereit zur Umstellung auf einen anderen, gemächlichen Tagesablauf und freute sich auf ein zünftiges Abendessen nach Jägerart.
Wind und Regen rüttelten an den Fensterscheiben. Mein Gott, dachte er; kein Wunder, daß da unten ein See ist.
Unter großem, elegantem Aufwand wurde das Abendessen im Speisezimmer serviert. Und in der Tat, es gab deftige Landkost; dagegen war nichts einzuwenden: Wildbret der Saison, das hier zum Glück von einer anderen Sorte war als im Tiefland.
Aber die Mahlzeit war eine sehr einsame Angelegenheit. Er saß mutterseelenallein am Kopf des langen Tischs. Wenn er den Blick hob, schaute er durch die geöffnete Tür hindurch auf das hohe Fenster im Wohnzimmer. Doch dahinter zeigte sich nur grauer, dunkelnder Himmel. Tano und Algini aßen in ihrem Quartier. Maigi und Djinana servierten. Jeder Versuch Brens, mit ihnen eine Unterhaltung anzufangen, scheiterte kläglich. Ja, nand’ Paidhi; danke, nand’ Paidhi; der Koch wird sich freuen, nand’ Paidhi – viel mehr war ihnen als Antwort nicht zu entlocken.
Endlich aber – er war gerade beim zweiten Gang, einer Suppe – kam Jago. Sie stellte sich neben ihn hinter einen der zehn Stühle, stützte die Unterarme auf die Rückenlehne und plauderte, erkundigte sich danach, wie er seine Unterkunft finde und ob er mit den Dienstboten zufrieden sei.
»Alles bestens«, antwortete er. »Allerdings habe ich hier noch kein Telefon entdecken können, nicht einmal einen Anschluß. Könnte ich ein Taschen-Kom geliehen haben?«
»Da war, glaube ich, eins übrig, aber das liegt in der Sicherheitszentrale, und es regnet so heftig.«
»Soll das heißen, die Sicherheitszentrale ist in irgendeinem Außengebäude untergebracht?«
»Leider. Wie dem auch sei, es wäre besser, Sie verzichten auf Anrufe nach draußen, Nadi Bren.«
»Warum?« fragte er unwirsch und in einem Tonfall, der in dieser Schärfe unbeabsichtigt war. Jago nahm die Arme von der Lehne und richtete sich auf. »Verzeihen Sie, Nadi«, sagte Bren. »Aber ich muß mich doch in regelmäßigen Abständen im Büro melden. Und es ist auch unbedingt wichtig, daß mir meine Post nachgeschickt wird. Ich hoffe, sie geht nicht unterwegs verschütt.«
Jago seufzte und legte die Hände zurück auf die Lehne. »Nadi Bren«, sagte sie im Geduldston. »Noch einmal: Ich bitte Sie, auf Anrufe nach draußen zu verzichten. Unseren Gegnern wird inzwischen bekannt sein, daß wir die Hauptstadt verlassen haben. Sie rechnen bestimmt mit Scheinmanövern unsererseits, und wir sollten sie in dem Glauben lassen, daß unsere Flucht nach Malguri nur ein Trick ist, eine List, um sie aus der Deckung hervorzulocken.«
»Sie wissen also, wer mir da nachstellt.«
»Nein, nicht direkt.«
Er war müde und hatte seine Kraft zur Selbstbeherrschung während der schrecklichen Busfahrt hier herauf verausgabt. Er wollte nicht länger im dunklen tappen und endlich wissen, woran er war. Die Zurückhaltung und höfliche Fassade der Atevi reizte ihn zunehmend, all seine diplomatischen Tugenden zu vergessen und seinem Ärger ungehindert Luft zu machen.
Statt dessen aber meinte er freundlich: »Ich weiß, Sie geben Ihr Bestes. Wahrscheinlich wären Sie lieber woanders als ausgerechnet hier.«
Jago runzelte die Stirn. »Habe ich Ihnen einen solchen Eindruck vermittelt?«
Himmel hilf! dachte er bei sich. »Nein, natürlich nicht. Aber Sie haben doch bestimmt noch anderes zu tun, als auf mich aufzupassen.«
»Nein.«
Typisch, dachte Bren. Jago wurde einsilbig, sobald es ans Eingemachte ging. Er nahm einen Löffel Suppe und hoffte, daß sie von sich aus etwas sagen würde.
Aber das tat sie nicht. Die Arme auf die Lehne gestützt, wirkte sie völlig entspannt.
»Werden Sie hier bleiben?« fragte er.
»Sehr wahrscheinlich.«
»Halten Sie es für möglich, daß mich derjenige, der mir nach dem Leben trachtet, bis hierher verfolgt?«
»Sehr unwahrscheinlich.«
Und so antwortete sie auf all seine Fragen – so knapp wie irgend möglich.
»Wann wird es wohl zu regnen aufhören?« fragte er schließlich in der Hoffnung, seinem Gegenüber zwei, drei Worte mehr entlocken zu können.
»Morgen«, antwortete sie.
»Jago, habe ich mir aus irgendeinem Grund Ihre Gunst verscherzt?«
»Aber nein, Nadi Bren.«
»Und wie steht’s mit Tabini? Kann es sein, daß er mich los sein will?«
»Nicht, daß ich wüßte.«
»Wird mir meine Post nachgeschickt?«
»Banichi will sich darum kümmern
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