Atevi 1 - Fremdling
zersprang. Er zuckte zusammen, irritiert über diesen plötzlichen Gewaltakt.
»Ich konnte das Service noch nie leiden«, sagte sie.
Bren war drauf und dran, seine Tasse folgen zu lassen. Eine solche Bemerkung aus Tabinis Mund wäre als Prüfung zu verstehen gewesen, und Bren hätte die Tasse geworfen. Doch in Gegenwart der Alten war er völlig verunsichert. Er stand auf und stellte die Tasse auf das von Cenedi gehaltene Tablett zurück.
Cenedi zögerte keinen Augenblick und kippte die Tasse samt Kanne ins Feuer. Tee zischte zwischen den Scherben in der Glut.
Bren verbeugte sich, geradeso, als bedankte er sich für ein Kompliment. Nervös schaute er die alte Dame an, die, sterbend, inmitten ihrer kostbaren Antiquitäten saß und willkürlich zerstörte, was ihr angeblich nicht gefiel. Bren drängte es, sich zurückzuziehen, und murmelte: »Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.« Doch kaum hatte er sich zwei Schritte entfernt, krachte der Stock auf die Steinboden und hielt in zurück.
Die Aiji-Mutter zeigte sich amüsiert. Sie grinste, lachte dann so herzhaft, daß es ihren dürren Leib durchschüttelte. Die Hände lagen übereinandergefaltet auf dem Knauf des Stocks. »Laufen Sie«, kicherte sie, »laufen Sie doch! Aber wohin? Wo sind Sie sicher aufgehoben? Wissen Sie das?«
»Hier«, antwortete er. Er durfte nicht kneifen; wegzulaufen wäre kindisch gewesen. »Hier in diesem Haus. Das jedenfalls meint der Aiji.«
Sie antwortete nicht, lachte bloß und warf dabei den Oberkörper vor und zurück. Nach ein paar bangen Sekunden glaubte er, entlassen zu sein und gehen zu können; er verbeugte sich und schritt zur Tür. War die Alte übergeschnappt? fragte er sich. Wußte Tabini von ihrem Geisteszustand? Und warum hatte sie das Service zerstört?
Weil ein Mensch davon Gebrauch gemacht hatte?
Oder war im Tee womöglich etwas enthalten gewesen, das jetzt über der glühenden Kohle verdampfte? Bei diesem Gedanken fing der Magen zu zwicken an. Es gab, wie er wußte, manche Teesorten, die für Menschen schlecht verträglich waren.
Mit merklich beschleunigtem Puls eilte er durch den Flur und die Treppe hinauf, schnell, denn bevor er sich würde übergeben müssen, wollte er das Bad erreichen, um das Personal nicht zu brüskieren und sich selbst nicht in Verlegenheit zu bringen.
Wie albern diese Scheu im Anbetracht der Möglichkeit, vergiftet zu sein. Aber vielleicht war es auch nur die Angst, die das Herz so rasen ließ. Vielleicht hatte man ihm bloß ein Stimulans unter den Tee gerührt, ein Mittel wie Midarga, auf das Menschen besonders heftig reagierten. In jedem Fall war es jetzt dringend erforderlich, Banichi und Jago zu informieren.
Schweiß trat ihm auf die Stirn, als er das obere Stockwerk erreichte. Es war womöglich nur die Angst oder Einbildung, daß er keine Luft mehr zu bekommen glaubte. Ihm war, als verschleierte sich der Blick. Taumelnd tastete er sich mit ausgestreckter Hand an der Wand entlang.
Er geriet in Panik. Bleib nur ja auf den Beinen! redete er sich ein; du darfst dir nicht anmerken lassen, wie das Zeug auf dich wirkt; nur keine Angst zeigen…
Wie am Ende eines schwarzen Tunnels tauchte die Tür zu seiner Suite vor ihm auf. Er warf sich dagegen, langte nach der Klinke und wankte ins Zimmer, geblendet von hellen Fenstern, grellweiß glühend wie flüssiges Metall.
Tür zu, dachte er; abschließen. Du schläfst ein, sobald du aufs Bert fällst. Vorher muß die Tür verriegelt sein.
Er drehte den Schlüssel, hörte den Riegel zuschnappen. Dann tappte er voran, schwenkte unwillkürlich ein auf das Licht, das durch die Fenster fiel.
»Nadi Bren!«
Aufgeschreckt fuhr er herum und sah von allen Seiten Dunkelheit hereinbrechen; sie schien mit Armen nach ihm zu langen und den Boden unter den Füßen wegzuziehen.
Dann wurde ihm schlagartig weiß vor Augen, doch gleich darauf trübte der Blick wieder ein. Er hing vornübergebeugt über einer steinernen Brüstung, festgehalten von jemandem, der brüllend irgendwelche Befehle gab und ihm den Sweater vom Leib pellte.
Ein Schwall kalten Wassers prallte ihm in den Rücken und flutete über ihn hinweg. Er glaubte, ertrinken zu müssen, schnappte nach Luft und versuchte sich zu wehren. Doch eine zwingende Kraft hielt ihn gepackt, bei den Armen und im Nacken. Würde er den Kopf wenden, müßte er ersticken. So, den Kopf gebeugt, konnte er wenigstens atmen zwischen den Schüttelkrämpfen, mit denen sich sein Magen entleerte.
Ein heftiger Schmerz fuhr
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