Atevi 1 - Fremdling
Höflichkeit«, sagte Banichi. »Er will damit zum Ausdruck bringen, daß er die Sache für einen bedauerlichen Unfall hält.«
Es wurde still. Auch Bren verzichtete darauf zu sagen, was ihm auf dem Herzen lag. Nach einer Weile murmelte er bloß: »Nichts für ungut.« Die universelle Formel zur Entschärfung einer potentiellen Beleidigung. Die Kopfschmerzen waren wieder unerträglich schlimm. Banichi nahm ihm die Suppenschale aus der Hand und setzte sie auf dem Tisch ab mit einem Geräusch, das Bren wie ein Donnerschlag vorkam.
»Die Aiji-Mutter möchte, daß sich der Paidhi von ihrem Arzt untersuchen läßt«, sagte Cenedi. »Es wäre gut, wenn Sie als Zeuge anwesend wären, Banichi-ji.«
»Sagen Sie der Aiji-Mutter besten Dank«, antwortete Banichi. »Ich werde dabeisein.«
»Ich brauche keinen Arzt«, stöhnte Bren. Und der der Aiji-Mutter soll mir gefälligst vom Leib bleiben, dachte er. Er hatte nur eins im Sinn: sich in aller Ruhe zu erholen.
Doch niemand nahm Rücksicht auf seine Wünsche. Cenedi ging mit Jago nach draußen und kehrte wenig später mit einem ältlichen Ateva zurück, dem Arzthelfer, der, nachdem er seinen Koffer am Fußende des Bettes abgesetzt hatte, die Felldecken zurückschlug, Brens nackten Körper der Kälte aussetzte, die Herztöne abhörte, ihm in die Augen blickte, den Puls maß und Banichi fragte, wieviel der Patient vom Tee getrunken habe. »Eine Tasse«, sagte Bren, doch niemand achtete auf ihn.
Schließlich kreuzte auch der Arzt persönlich auf. Er musterte Bren wie das Exponat eines Panoptikums und fragte Bren, ob er noch einen Restgeschmack vom Tee im Mund verspüre oder einen entsprechenden Geruch wahrnehme, was Bren bestätigte.
»Milch«, verordnete der Arzt. »Ein Glas alle drei Stunden. Warm oder kalt.«
»Kalt«, sagte Bren mit zitternder Stimme.
Es wurde gewärmte Milch gebracht. Sie schmeckte nach Tee, worüber er sich beklagte. Banichi kostete davon, versicherte ihm, daß es sich um frische Milch handelte. Erst wenn er keinen Teegeschmack mehr wahrnähme, so Banichi, würde er vom Gift befreit sein.
Algini, der mit dem stets griesgrämigen Blick, nötigte ihm anschließend mehrere Gläser Fruchtsaft auf, bis Maigi ihn, Bren, schließlich auf das – wie er diskret formulierte – ›stille Örtchen‹ führen mußte.
Als sie ins Zimmer zurückkamen, war Banichi verschwunden. Bren fragte Algini, ob er ihm einen Stromanschluß für den Computer installieren könne.
»Wir befinden uns in einem denkmalgeschützten Bau, nand’ Paidhi. Soweit ich weiß, muß jede Veränderung, und sei sie noch so klein, vom Amt für Denkmalschutz genehmigt werden. Wir dürfen nicht einmal einen Nagel in die Wand schlagen oder eins der vorhandenen Gemälde abhängen, um statt dessen die Hausordnung anzubringen.«
Das klang wenig ermutigend.
»Was glauben Sie?« fragte Bren. »Ob ich bald in die Stadt zurückkehren kann?«
»Nicht daß ich wüßte. Ich bin gern bereit, Ihre Frage an anderer Stelle vorzutragen, nand’ Paidhi, vermute allerdings, daß die Überlegungen, die zu Ihrer Unterbringung in diesem Haus geführt haben, nach wie vor gültig sind.«
»Was für Überlegungen?«
»Die zum Schutz Ihres Lebens, nand’ Paidhi.«
»Hier kann ich mich offenbar auch nicht sicher fühlen.«
»Die Küche ist gewarnt, und der Koch läßt Sie versichern, daß er sich in Zukunft sorgsam in acht nehmen wird.«
Bren schmollte wie ein enttäuschtes Kind, bemühte sich dann aber um Fassung, als er Alginis Irritation bemerkte. Dennoch, er kam sich vor wie ein Kind, ins Bett gesteckt und bevormundet von übergroßen Leuten, die sich hinter seinem Rücken über ihn unterhielten. Er war geneigt, sich wie ein Kind zu verhalten, Algini unter irgendeinem Vorwand wegzuschicken, um unbemerkt aus dem Bett steigen und nach draußen schleichen zu können.
Am Ende blieb er aber doch brav liegen, bemühte sich um einen höflichen Ton den Dienern gegenüber und trank die verfluchte Milch. »Ich will sie lieber kalt«, sträubte er sich – mit dem Ergebnis, daß das Glas in die Küche gebracht und für eine Weile ins Eisfach gestellt wurde.
Endlich schmeckte die Milch nicht mehr nach Tee, und auch vom Fruchtsaft hatte er so viel getrunken, daß er statt Blut Fruchtsaft in den Adern fließen wähnte, was er auch Djinana gegenüber bemerkte. Der fand diese Vorstellung außerordentlich lustig.
Im Gegensatz zu Bren. Er ließ sich Lektüre bringen und informierte sich anhand eines reich
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