Atevi 2 - Eroberer
zum Fahrstuhl und über drei Stockwerke nach unten in den breiten, videoüberwachten Gang zum Plenarsaal des Tashrid.
Bren kannte den Weg. Sein Büro lag ganz in der Nähe. Aber es war alles anders als sonst. Helles Scheinwerferlicht flutete durch die Halle, Leute vom Fernsehen schwirrten umher. Auf hoch aufgebockten Bühnen waren Kameras installiert. Noch überwältigender als der Abschied von der Dienerschaft war sein Einzug in den Saal. Schlagartig wurde es still unter den zahlreich versammelten, vornehm gekleideten Lords. Jago und Tano führten ihn über den leicht abschüssigen, teppichbelegten Seitengang, der jetzt die Mitte des erweiterten Saales bildete, da die mobile Trennwand zum Hasdrawad hin, dem Abgeordnetenhaus, entfernt worden war. Von neugierigen Blicken begleitet, steuerte er auf ein separiertes Gestühl am Rand der Rednertribüne zu, das Würdenträgern und geladenen Gästen vorbehalten war. Dort nahm er in der vordersten Reihe Platz und legte sich den Stichwortzettel zurecht. Jago und Tano blieben im Gang neben ihm stehen.
Auch die Lords und gewählten Vertreter der Provinzen bezogen nun ihre Plätze. Bren konzentrierte sich auf seinen Zettel, versuchte, jene ausgesuchten Wörter und Definitionen auswendig zu lernen, die er anzuwenden vorhatte, weil in ihnen keine unliebsamen Konnotationen mitschwangen. Manche Begriffe waren unbedingt zu vermeiden, so zum Beispiel »Überlichtgeschwindigkeit«. Er konnte nur hoffen, zu diesem Thema heute nicht befragt zu werden.
In den Galerien drängten sich die Zuschauer. Noch hatten nicht alle zu ihren Sitzen gefunden, und die, die noch standen, wurden plötzlich hektisch, denn nun kam Tabini-Aiji mit forschen Schritten über denselben Gang, durch den Bren gekommen war. Tabini bestieg das Podium.
»Nand’ Paidhi«, ertönte seine Stimme, verstärkt über Lautsprecher.
Bren stand auf, nahm den Computer, den Jago neben ihm auf die Bank gestellt hatte, und ging nach vorn, während Tabini die Versammelten beider Häuser begrüßte und den Anlaß der außerordentlichen Sitzung nannte: »… um Ihnen über die Geschehnisse am Himmel sachkundige Auskunft zu geben.«
Bren rückte ein zweites Mikrophonstativ zurecht, setzte den Computer auf dem Boden ab und verbeugte sich vor Tabini, dem Tashrid und dem Hasdrawad.
»Nadiin, geehrte Bundesgenossen«, war die korrekte Anrede. Die Menge antwortete: »Nand’ Paidhi.«
Er sah sich einem Meer aus dunklen, aufmerksamen Gesichtern gegenüber, holte tief Luft und legte, um sich abzustützen, den Arm auf das Rednerpult, das viel zu hoch für ihn war.
»Vor langer Zeit«, fing er an, »machte sich ein Schiff auf den Weg in eine ferne Welt mit der Absicht, eine Raumstation zu bauen, da, wo es sich zu leben lohnte. Aber durch ein Unglück vom Kurs abgebracht, irrte das Schiff außer Sichtweite aller bekannten Richtsterne umher und geriet in eine Zone, die verseucht war von tödlicher Strahlung. Viele Besatzungsmitglieder kamen um bei dem Versuch, außerhalb des Schiffes nach Treibstoffen zu suchen, die gebraucht wurden, um in Sicherheit fliegen zu können. An Bord befanden sich als Passagiere viele einfache Arbeiter, die von Raumfahrt und der Technik des Schiffes nicht viel verstanden. Sie verwiesen auf die außergewöhnlichen Privilegien und Befugnisse der Schiffsbesatzung und versprachen, diese unangetastet zu lassen, solange sie davon verschont blieben, an den gefährlichen Exkursionen teilzunehmen.«
Die Zuhörer rührten sich nicht und blieben stumm. Kein einziger Hinweis verriet, ob sie den Ausführungen folgten oder eigenen Gedanken nachhingen. Ihre scheinbare Anteilnahmslosigkeit verunsicherte Bren.
Daß er gleich zu Anfang auf Rangunterschiede und Privilegien zu sprechen kam, hatte seinen Grund. Für Atevi waren diese Fragen von entscheidener Bedeutung. Ererbte Privilegien respektierten sie nur dann, wenn ihr Träger durch entsprechende Taten unter Beweis stellte, daß er ihrer würdig war. Darauf baute Brens Strategie auf.
»Nadiin«, fuhr er fort. Der bandagierte Brustkorb hinderte ihn am Atemholen, und er brauchte viel Luft, um mit tragfähiger Stimme sprechen zu können. »Tapfere Männer schürften den Treibstoff, der nötig war, um das Schiff an einen günstigeren Ort steuern zu können, in eine wirtliche Welt, die es noch zu finden galt anhand einiger weniger Anhaltspunkte.« Er vermied es, auf die navigatorischen Details dieser Suche genauer einzugehen. Irgendwann würde er gewiß danach gefragt werden.
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