Atevi 3 - Erbe
abschrecken zu lassen.
Er stand auf, räumte die gebrauchten Utensilien an ihren Platz zurück und ging auf die andere Seite des kleinen Zimmers, um Jasori auch im wortwörtlichen Sinn mehr Freiraum zu geben.
»Es hat eine Weile gedauert, ehe man mich ausgewählt hat«, sagte Bren nach längerem Schweigen. »Entscheidend war am Ende, daß ich einiges aushalten kann. Du findest nicht die richtigen Worte, nicht wahr? Dir hat’s die Sprache verschlagen. Du weißt nicht mehr, wo dir der Kopf steht.«
Jason antwortete nicht und gab statt dessen ein Bild des Jammers ab. Er war am Nullpunkt angelangt. Mundtot. Völlig orientierungslos. Das erste, aber gewiß nicht zum letzten Mal.
Auf ragi sagte Bren: »Ich will, daß Sie sich dem Interview stellen. Sie müssen nicht viel sagen, nur: Ja, Lord Tatiseigi; nein, Lord Tatiseigi; Danke sehr, Lord Tatiseigi. So einfach ist das. Haben Sie verstanden?«
Ein zaghaftes Nicken. Die zu allererst gelernten Worte meldeten sich zurück. Ja. Nein. Danke. Verstanden?
»Gehen Sie jetzt hinaus. Ich will, daß Sie höflich sind. Haben Sie verstanden?«
Wieder ein Nicken, schon merklich bestimmter. Aber es zeugte noch von Angst, schierer Angst. »Ja«, flüsterte Jason, »aber…«
»Aber?«
Jason wußte wieder nicht weiter, brachte wieder kein Wort über die Lippen.
Nein, so ging es nicht; damit war niemandem geholfen. Jason steckte in dem Kommunikationsloch, in das schon so mancher hineingestürzt war, der hart am Erwerb einer Fremdsprache arbeitete. Das Gehirn war wie abgeschaltet, vielleicht weil – Bren konnte es sich nicht anders erklären – überfüllte Datenspeicher umorganisiert werden oder im Keller des Bewußtseins neue Leitungen verlegt werden mußten. Wer weiß?
Bren versuchte es mit Bestechung, lockte mit dem besten Köder, den er hatte.
»Wenn Sie sich zusammenreißen«, sagte er, »fahren wir ans Meer. Versprochen. Glauben Sie mir, ich verlange nichts Unmögliches und bin mir sicher, daß Sie es schaffen.«
Keine Antwort. Doch es war mehr als ein Köder, dem sich Jason nun gegenübersah, nämlich einer Notwendigkeit, der er sich unterwerfen mußte. Das wußte Bren, und er brauchte nur noch zu winken. Jason stand auf und folgte hinaus in die Halle.
»Sind alle soweit?« fragte er Jago.
»Ja«, antwortete sie, aktuell informiert über ihr Taschen-Kom. »Es kann losgehen, sobald Lord Badissuni wegtransportiert ist. Ihm wurde plötzlich übel.«
Bren glaubte nicht richtig gehört zu haben. »Ihm wurde übel?«
»Ja, im Ernst, Nadi.« Ihrem Tonfall konnte Bren entnehmen, daß sie die Wahrheit sagte. »Die Ursache scheint Stress zu sein. Er wird ins Krankenhaus gebracht.«
Tatiseigi stand im Scheinwerferlicht und berichtete von dem lächerlichen, aber leider ausgelösten Sicherheitsalarm in der U-Bahn-Station, ließ aber unerwähnt, daß der Schuldige ein junger Mann von den Inseln war. Es ging ihm vor allem darum, die Zuverlässigkeit der Sicherheitskräfte des Bu-javid hervorzuheben und deutlich zu machen, daß auf jedwede Bedrohung entschieden reagiert werde.
Tabini, der das Fernsehen längst zur Durchsetzung und Legitimierung seiner Politik zu nutzen wußte, nahm interessiert Notiz von Tatiseigis Auftritt, der natürlich selbst den Wert dieses Mediums kannte, gleichzeitig aber warnte vor den »üblen Folgen einer immer weiter um sich greifenden Fernsehsucht«, wie er sich ausdrückte.
»Ich will Ihnen sagen«, hob er in der für ihn typischen Formel an, gab eine Erklärung ab zu den erfolgten Restaurierungsarbeiten und nahm die Gelegenheit wahr, der Öffentlichkeit einen Abriß der Atigeinischen Geschichte vorzutragen. Er erinnerte an klangvolle Namen, an glorreiche Taten und daran, daß es verwandtschaftliche Beziehungen seiner Familie zu den Gründern der Stadt Shejidan gab. Und im Beisein der Nichte Damiri meinte er schließlich, daß sich die Atigeini nun »einer Zukunft großer Versprechen und abenteuerlicher Aussichten zuwenden« würden.
Mein Gott, dachte Bren; das klang ja so und würde sich auch für die Zuschauer an den Bildschirmen so anhören, als unterstützte er das Raumfahrtprogramm!
Das kam einer Deklaration zugunsten von Tabini nahe und somit einer Absage an Direiso und die Kadigidi.
Nein, diese Worte, die er mit Sicherheit sorgfältig gewählt hatte, waren gar nicht mißzuverstehen; sie bedeuteten, daß er als Oberhaupt des bislang konservativen und rückwärtsgewandten Clans der Atigeini den Blick nach vorn richten wollte. Und als
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