Atevi 3 - Erbe
weil Mospheira schwieg, als Frage bislang offen, doch Bren bezweifelte dies. Zum einen: Die Menschen, die damals die Station verlassen hatten, waren in zwei Wellen auf diesen Planeten herabgestiegen. Die erste landete in primitiven, an Fallschirmen hängenden Kapseln, weil die Stationsführung den prospektiven Kolonisten Mittel und Entwürfe zum Bau einer wiederverwendbaren Raumfähre verweigert hatten.
Die zweite Landungswelle erfolgte, nachdem das Schiff von der Station abgelegt hatte mit dem angeblichen Ziel, den Rückweg in die Heimat zu finden. Die unterbesetzte Station verfiel allmählich, und den verbliebenen Menschen fehlten Mittel und Arbeitskräfte zum Bau einer Raumfähre. Darum mußten auch sie schließlich mit Kapsel und Fallschirm aussteigen. Möglich, daß sie die Stationsbibliothek und Archive mit sich genommen hatten; vielleicht aber auch nicht. Die nun vom Schiff heruntergeschickten Entwürfe unterschieden sich ganz wesentlich von den auf Mospheira entwickelten Trägerraketen für schwere Lasten. Der Schwerlastaspekt kam in den aktuellen Plänen überhaupt nicht vor. Die im Orbit benötigten Rohstoffe würden auf herkömmlichem Wege beschafft, hatte der Kapitän gesagt. Es kam – laut Jason Graham – vor allem darauf an, Arbeitskräfte nach oben zu schaffen.
Gewisse geschichtliche Informationen war Jason allerdings schuldig geblieben: Es hatte einige schreckliche Arbeitsunfälle im All gegeben, und es waren eben solche Katastrophen, die die Kolonisten damals auf den Planeten hatten fliehen lassen. Wie auch immer, wären die Atevi erst einmal da oben, hätten sie ein Mitspracherecht, und sie würden die Schiffsmannschaft überstimmen. Diesen Hinweis blieb er Jason schuldig.
Vielleicht hatte die Bibliothek Pläne für den Bau einer leichten Fähre, wie sie jetzt konzipiert war, enthalten. Sicher war er aber dessen nicht.
Möglich auch, daß der Bombe, mit der Atevi im Krieg Alpha Base in die Luft gesprengt hatten, ein größerer Teil der Bibliothek zum Opfer gefallen war, als von den Menschen damals zugegeben wurde.
Im übrigen hatte es zwischen damals und heute eine Menge politischen Hickhacks gegeben. Bren war es nicht einmal als Paidhi (oder eben darum, weil er Paidhi war) gestattet gewesen, die streng geheimgehaltenen Archive zu durchforsten und sich selbst ein Bild zu machen. Er hielt es für durchaus möglich, daß die gesuchten Unterlagen während der Auseinandersetzungen zwischen Stationsführung, Kolonisten und Schiffsbesatzung vorsätzlich vernichtet worden waren (mit Ausnahme einer Kopie, die man im Schiff aufbewahrt hatte), um zu verhindern, daß sich die Kolonisten selbständig machten und den Planeten verließen, ohne vorher den Aufbau einer industriellen Basis geleistet zu haben.
Ironie aller Ironien: Jason hatte – in einer dritten ›Welle‹ – ebenfalls am Fallschirm absteigen müssen, denn das großartige Schiff war bedauerlicherweise trotz vorliegender Pläne nicht in der Lage, ein Landefahrzeug zu bauen, weil es an Arbeitskräften mangelte; und selbst wenn dieses Problem hätte gelöst werden können, wäre eine Landung in diesem Fahrzeug nicht möglich gewesen, weil es an Bord des Schiffes keinen Piloten gab, der unter atmosphärischen Bedingungen zu fliegen vermochte.
Aus all diesen Gründen und obwohl Mrs. Yolanda Mercheson, die Schiffsvertreterin in Mospheira, den von Menschen und nach identischen Plänen vorzunehmenden Bau einer weiteren Fähre einleiten sollte, war sich Bren zunehmend sicher, daß das erste Raumfahrzeug, das Passagiere und Fracht von diesem Planeten in die Umlaufbahn bringen würde, hier in diesen Werken entstand, die er gerade inspizierte.
Die Menschen auf Mospheira würden mit Konstruktionsplänen, selbst wenn sie die schon hätten, gar nichts anfangen können, weil ihnen die Kapazitäten für ein so großes Bauvorhaben fehlten. Voraussetzung für die zügige Umsetzung eines Raumfahrtprogramms waren eine moderne Luftfahrtindustrie sowie hochspezialisierte Fachkräfte, welche die vorhandenen Anlagen neuen Zwecken zuzuführen verstanden.
Leider mangelte es den Menschen auf Mospheira auch daran. O ja, es gab ein Flugzeugwerk auf der Insel, doch die Produktion großer Jets war eingestellt worden, weil sie gegen die atevische Konkurrenz nicht mehr bestehen konnten. Die zur künstlichen Aufrechterhaltung einer eigenen Flugzeugindustrie notwendigen staatlichen Fördermittel waren vor zwei Legislaturperioden gekürzt worden, und zwar auf Druck der
Weitere Kostenlose Bücher