Atevi 3 - Erbe
»Wenn Hanks-Paidhis Provokationen offiziell bekannt wären, hätte man sich wahrscheinlich bedeckt gehalten. Es scheint, daß das eigentliche Problem noch gar nicht erkannt worden ist, geschweige denn gezielt angegangen wird.«
»O doch, ich fürchte, man ist sich dessen sehr wohl im klaren«, entgegnete Bren, dem seinerseits durchaus bewußt war, daß er sich wieder einmal an der Grenze zum Hochverrat bewegte. »Aber man ist alles andere als mutig und entschieden. Sobald die ersten Schwierigkeiten auftauchen und die Wählerschaft aufmuckt, werden Rückzieher gemacht. Dann setzt man alles daran, die Wähler zu beschwichtigen und die Verantwortlichen aus den eigenen Reihen in Schutz zu nehmen. Es wäre in dieser Situation sehr wichtig, die jeweiligen Kanonenboote auf Abstand zu halten, denn dort könnten Funken sprühen, die das Pulverfaß zum Explodieren brächten.«
»Worauf es Direiso womöglich gerade anlegt«, sagte Ilisidi.
Oder sie dreht durch aus Ärger über die für sie sicherlich frustrierenden Verhandlungen mit Mospheira, dachte Bren. Es sei denn, sie plant für den Fall, daß sie Aiji wird, über Mospheira herzufallen.
Was nicht als übler Scherz von der Hand zu weisen war. Womöglich hatte Direiso tatsächlich solche Absichten. Die Insel war zur Gegenwehr schlecht gerüstet und im Kriegsfall ebenso chancenlos wie vor knapp zwei Jahrhunderten. Überhaupt schien die aktuelle Lage mit der von damals durchaus vergleichbar zu sein: Während sich die Krise zuspitzte, war sich die Mehrheit der Menschen der Gefahr nicht bewußt, die von einem rebellischen, an die Macht strebenden Ateva ausging.
Hatte Tabini noch mit nur einem Federstrich allen Diskussionen über die Verlegung von Patinandi Aerospace und die Umstrukturierung des Raumfahrtprogramms ein Ende setzen können, so war nun zu fürchten, daß Tabini, der die Menschen tolerierte, einer Frau weichen mußte, die alle Menschen von der Oberfläche des Planeten verdrängen würde.
Die schlechten Nachrichten häuften sich, und die mospheiranische Regierung beschuldigte das Auswärtige Amt dafür, daß es Feststellungen traf, die nicht mit deren Erwartungen übereinstimmten. Sie weigerte sich, dem amtierenden Paidhi zuzuhören, und hatte seiner Mutter Polizeischutz abgezogen, anstatt den gefährlichen Einfluß der Agitatoren zurückzudrängen. Wozu es womöglich inzwischen zu spät war.
Bren hatte es kommen sehen. Was ihn noch hoffen ließ, war die starke Zentralmacht in Shejidan und die Tatsache, daß die Edi und Maschi der Halbinsel bislang noch nicht über das Padi-Tal hergefallen waren. Und im Unterschied zu den Gründen, die damals zum Krieg geführt hatten, schwebte jetzt ein Raumschiff am Himmel, das zwar auch seine Schatten warf, aber eher Bittsteller war als potentieller Angreifer. Heutzutage wußten die Atevi um die Eigenarten der Menschen und deren innere Konflikte. Und außerdem gab es heutzutage Paidhiin.
All das war bei einer Einschätzung der Lage zu berücksichtigen.
Er hörte draußen ein Flugzeug starten.
Rejiri machte sich auf den Weg mit dem Auftrag, auf der Insel Dur für Tabinis Truppen das Feld zu räumen, und wenn der Lord von Dur tatsächlich auf der Seite des Aiji stand, gab es gute Hoffnung, gestärkt aus der Krise hervorzugehen.
Einer der Männer, die jenseits der Glaswand ihren Dienst versahen, kam zur Tür herein und überreichte Cenedi eine Notiz. Als dieser sie las, veränderte sich sein Gesichtsausdruck.
»Nand’ Aiji-Mutter«, sagte Cenedi. »Lastwagen verlassen die Lagerhalle in der Stadt und fahren über die Hafenstraße Richtung Westen. Sollen wir sie aufhalten oder vorrücken lassen?«
Ilisidi zog die Stirn kraus und studierte die Landkarte.
»Wir bewahren vorläufig Frieden«, sagte sie. »Warten wir noch eine oder zwei Stunden ab.«
Es waren also atevische Truppen in Marsch gesetzt worden. Bren wußte weder wohin, noch in welchem Umfang, aber die Konsolen draußen in der Schaltzentrale waren von loyalen Gildenmitgliedern besetzt, und er versuchte auszuspannen, setzte sich in einen der Sessel in der Lounge und lehnte den Kopf zurück, obwohl er vor lauter Nervosität kaum stillhalten konnte.
Jason kam wenig später mit einer Tasse Tee. Er machte einen abgekämpften, grimmigen Eindruck und schien selbst das dicke Polster unbequem zu finden – jedenfalls winselte er hörbar auf, als er sich hinsetzte. Kopfnickend lud ihn Bren zum Bleiben ein; dann schloß er die Augen und dachte daran, daß es in Shejidan
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