Atevi 3 - Erbe
Paidhi ein Bericht auf den Schreibtisch gelegt, häufig voll von schaurigen Details und als Beschwerde von der einen oder anderen Seite formuliert. Manchmal gerieten Fischerboote, gelegentlich auch von Touristen gecharterte Boote in einen Sturm, und wenn die Besatzung sehr, sehr viel Glück hatte, war der Paidhi gefordert, um mit seinen Vollmachten dafür zu sorgen, daß sie wieder auf ihre jeweilige Seite der Meerenge zurückgeleitet wurden.
Es waren schon oft verzweifelte Nachfragen an ihn herangetragen worden, worauf er hatte antworten müssen: Nein, es ist niemand aus dem Wasser gezogen, kein Boot an Land gespült worden.
Er mochte nicht daran denken, daß Yolanda womöglich allein und auf eigene Faust aufgebrochen war, weil irgend ein Bootsbesitzer vergessen hatte, den Schlüssel zu ziehen.
Im Unterschied zu ihr würde sich Deana Hanks leicht Expertenhilfe verschaffen können, entweder von einem reichen Gönner eine Zwanzigmeter-Jacht mitsamt Besatzung oder, was dem Zweck sehr viel besser diente, die Hilfe eines jener mospheiranischen Schmuggler, die mit Antiquitäten und Schmuckstücken handelten, solchen Gütern, die als Schmuggelware später nicht mehr zu identifizieren waren und gerade von denjenigen stark nachgefragt wurden, die ansonsten mit atevischer Kultur nicht viel am Hut hatten.
Himmel, wie sehr wünschte er sich, Hanks zu packen zu kriegen! Und das, ehe sie Direisos Lager erreicht haben würde.
Ohne ein Zeichen zum Aufbruch gegeben zu haben, setzte sich Ilisidi in Bewegung. Einer ihrer Männer hatte den zu Fuß mitgehenden Angestellten von Mo-gari-nai geraten, auf der Innenseite der Straße zu bleiben, damit nicht einer zufällig von einem Mecheita über den Rand in die Tiefe gestoßen würde. Besser, gegen einen Fels zu prallen als auf den Grund der Klippe hinabzustürzen, hatte es geheißen, was der Stimmung unter den ohnehin schon ängstlichen Männern nicht gerade förderlich gewesen war.
»Wenn sie einigermaßen mit uns mithalten wollen, werden sie sich mächtig anstrengen müssen«, meinte Banichi. »Wir werden sie bald abhängen, so daß ihnen von den Mecheiti keine Gefahr droht.«
»Wer oder was erwartet uns da unten?« fragte Bren, als nur noch die Sterne am Himmel für Licht sorgten.
»Tabinis Leute, Nadi, und eine kleine Gruppe von Ilisidis Männern, die mit dem Zug von Shejidan gekommen sind. Hoffen wir, daß beide Seiten nicht versehentlich aufeinander geschossen haben.«
Sie erreichten die Abzweigung, die zum alten Kanonenfort führte und von Touristen häufig befahren wurde. Von Haduni am Zügel gehalten, rückte ein Mecheita mit Jason im Sattel vor. »Nadiin«, sagte Haduni, »die Aiji-Mutter hat Jason-Paidhi Nawaris Mecheita zur Verfügung gestellt.«
Nawari war mit nach Dur geflogen. Er zählte zu denen, die in Ilisidis Nähe reiten durften.
»Jasi-ji«, meldete sich Jago aus der Dunkelheit links von Bren. »Er will sagen, daß Sie, wenn es schneller wird, den Zügel nehmen, sich ducken und am Sattel festhalten sollen. Wenn er ihnen den Zügel jetzt schon überließe, würden Sie im Nu vorn bei der Aiji-Mutter sein.«
»Verstehe«, antwortete Jason. »Und ich werde mich bemühen, nicht runterzufallen.«
Es ging in gemäßigtem Tempo voran, doch das Fußpersonal hatte schon bald den Anschluß verloren und die erste scharfe Kurve in der steil abschüssigen Straße kam eher, als Bren erwartet hatte.
Hinter der nächsten Kurve zeigten sich die Lichter der Stadt, auffällig wenige Lichter. Wahrscheinlich wußten die Bewohner von der Kriegsgefahr und hockten vorm Radio oder Fernseher, auf Nachrichten wartend oder auf Hinweise des Zivilschutzes.
In engen Serpentinen wand sich die schmale, gepflasterte Straße den Hang hinab. Nokhadas Laune hatte sich merklich gebessert; mit nach vorn gedrehten Ohren drängte sie an die Spitze des Trosses. Bren ließ sie gewähren, was ihrer Stimmung noch mehr Auftrieb gab. Jasons Mecheita hielt auf gleicher Höhe mit.
Und wieder ging es in eine Kehrrwende. »Nadiin«, sagte Jago. »Für den Fall, daß geschossen werden sollte – ganz tief runter mit dem Kopf und weiterreiten! Zwar wird die Straße vor der Stadt von unseren Leuten abgesichert, aber es könnten uns Kadigidi-Partisanen auflauern.«
Für Scharfschützen war es nicht schwer, die Befehlshaber in einer traditionell formierten atevischen Reitertruppe auszumachen und niederzuschießen. Das war nie schwer gewesen. Vielleicht, so dachte Bren, trug der riskante Umstand, daß es
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