Atevi 3 - Erbe
so sehr wollte. Aber er traute sich nicht, die Dinge, die ihm auf dem Herzen lagen, zur Sprache zu bringen, ehe Jason nicht seine Krise überstanden hatte.
Immerhin hatte er Jason Bescheid gestoßen. Und jetzt blieb keine Zeit mehr. »Wir sehen uns wahrscheinlich gegen Mittag.« Er ging, zog die Tür hinter sich zu und bedauerte, nicht mehr tun zu können.
Es war zu fürchten, daß Jason in eine Depression abrutschte. Zu seiner Ausbildung zum Paidhi hatte auch das Studium der menschlichen Psyche gehört; er erkannte Warnsignale und wußte um die Mechanismen zur Bewältigung von Einsamkeit, schlimmer Nachrichten oder des Gefühls, laufend mißverstanden zu sein.
Depression: immer nur schlafen wollen, immer nur das Schlimmste vor Augen haben und sich nichts zutrauen.
Und vielleicht war Jasons unwidersprochene Hinnahme der Auskunft Manasis, wonach die Telefonverbindungen für ihn nicht zugänglich seien, mehr als bloß Gefügigkeit, wie sie auf dem Schiff anerzogen wird. Vielleicht war es tatsächlich der Beginn einer Depression.
Aber, verdammt, auch er, Bren, hatte Probleme, jedoch keine Zeit, verdammt noch mal, um darauf eingehen zu können.
Und jetzt, da er seine eigene Wahrnehmung hinterfragte, fiel ihm plötzlich auf, daß Jason jene andere, naheliegende Frage nicht gestellt hatte: Er hatte nicht gefragt, ob er, Bren, erfahren habe, warum sich das Schiff mit der Nachricht vom Tod seines Vater nicht direkt an ihn gewendet hatte.
Auch hatte er nicht gefragt, ob es dem Schiff überhaupt möglich gewesen wäre, ihn direkt zu kontaktieren und aufzuklären über das, was er am Ende von Yolanda Mercheson über mospheiranische Kanäle hören mußte; oder ob es womöglich ausgerechnet zur gegebenen Zeit kommunikationstechnische Probleme gegeben hatte.
Danach hatte Jason nicht gefragt, und im Weggehen registrierte Bren, daß er sich nicht gerade gedrängt gefühlt hatte, dem Kollegen mitzuteilen, was er durch Tano erfahren hatte, daß nämlich in Mogari-nai kein Anruf für Jason angekommen war.
Vielleicht, dachte Bren, sollte er umkehren und diese Sache zur Sprache bringen. Aber vielleicht würde sich für alles eine plausible Erklärung finden, wenn Jason Gelegenheit hätte, ausführlich mit seiner Mutter zu sprechen und zu hören, was passiert war – und Bren rechnete fest damit, daß Jasons Anruf vermittelt würde. Es mochte durchaus möglich sein, daß seine Mutter selbst darum gebeten hatte, dem Sohn die Nachricht für eine Weile vorzuenthalten; vielleicht wollte sie erst einmal die eigene Trauer in den Griff bekommen, ehe sie mit dem Sohn spräche; vielleicht wollte sie ihn nicht zusätzlich belasten, wissend, daß es ihm schon schwer genug fiel, allein unter Atevi zu sein. Bren hoffte, daß die Antwort darauf hinausliefe. Und womöglich dachte Jason ähnlich.
»Nand’ Paidhi«, hörte er eine Dienerin rufen, als er das Speisezimmer durchquerte. »Der Aiji wünscht Sie jetzt zu sprechen. Wenn Sie sich bitte auf den Weg machen wollen.«
»Danke, Nadi«, antwortete Bren und legte mental einen anderen Gang ein, schaltete auf Ragi in seiner großartigen Komplexität höfischer Sprachregelung. In ein Gespräch mit Tabini ging man nicht in verwirrtem Zustand oder geistig mit anderen Dingen beschäftigt.
Was er an Materialien und Dokumenten von seiner Reise mitgebracht hatte, war schon beim Aiji beziehungsweise seinen Sekretären abgeliefert worden. Früher, als er noch in einem entlegenen Trakt des Bu-javid gewohnt und bei weiten nicht das Ansehen genossen hatte wie heute, war er immer mit vollbepackten Aktentaschen anmarschiert. Jetzt trug er allenfalls seinen Notizblock bei sich. Längst brauchte er auch nicht mehr mit anderen Bittstellern vor dem Audienzsaal Schlange zu stehen, wenn er mit dem Aiji sprechen wollte. Seit einem halben Jahr etwa wartete er, wenn ein Gespräch mit Tabini stattfinden sollte, in dem luxuriösen Appartement, das ihm zur Verfügung gestellt worden war, an guten Tagen mit hochgelegten Füßen und einer Tasse Tee in der Hand, während Tabinis Leute mit seinem Personal (noch so eine Vergünstigung jüngeren Datums) am Telefon einen Termin aushandelten.
Heute, so wurde vermutet, hatte sich der Aiji Zeit genommen, obwohl ihm kaum genügend zur Verfügung stand. Für eine wiederholte Verschiebung hätte Bren in Anbetracht der aktuellen Umstände durchaus Verständnis gehabt. Wenn die Sache in der Provinz Sarini nicht passiert wäre, hätte Tabini dem Gespräch mit dem Paidhi eine
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