Atevi 3 - Erbe
gewichtete seine Loyalitäten entsprechend. Es gab Assoziationen wirtschaftlicher Art, solche, die sich aus der Wohnlage ergaben, politische und auch eheliche, wie Bren vermutete, aber nicht beweisen konnte.
Und da waren jene Mauern, die einzelne Häuser umschlossen und von den übrigen abriegelten. Darin behaupteten sich verwandtschaftliche Assoziationen, deren innere Strukturen in der Ausrichtung und den mit der Zeit verblichenen Farben der Dachziegel gespiegelt wurden.
Wer sich darauf verstand, konnte aus solchen Zeichen viel ablesen. Aus ihrer intimsten Sphäre hatten die Atevi den Menschen gegenüber nie ein Geheimnis gemacht. Sie waren offenbar überzeugt davon, daß sich in dieser Hinsicht nichts verheimlichen läßt. Doch die Menschen hatten über viele Generationen das, was vor aller Augen offen lag, kaum zur Kenntnis genommen. Brens Vorgänger hatten zum Beispiel die farblichen Nuancen nie richtig zu deuten gewußt, und auch Bren war mehr oder weniger auf Mutmaßungen angewiesen.
Zu einer mospheiranischen Stadt ließ sich kein Vergleich ziehen. Und das war einem als Mensch ständig bewußt.
Man hatte denselben Himmel über sich, sah dieselben Sterne, dieselben Wolken, dasselbe Meer – aber man war nicht auf Mospheira.
Und schon gar nicht auf dem Schiff. Jason tat ihm leid. Selbst dann, wenn er ihn am liebsten würgen würde – und es hatte solche Momente gegeben –, war ihm bewußt, unter welch extremer Anspannung Jason stand. Und dazu kam nun dieser schwere Verlust, das Wissen darum, ein Zuhause verlassen zu haben, wie es nie mehr wieder anzutreffen sein würde…
»Nein, nein und nochmals nein!«
Es war Tabinis Stimme, die draußen durch den Flur tönte.
»Licht meines Lebens, Sie werden Ihren Onkel nicht ins Appartement einziehen lassen. Das kann nicht sein!«
»Es ist unsere angestammte Residenz«, war als Antwort zu hören: aus Damiris Mund. »Daran ist nicht zu rütteln.«
»Bei allen weniger glücklichen Göttern, es geht um Brens Leben! Sie kennen Ihren Onkel doch. Er mauschelt mit den verfluchten Hagrani.«
Das klang nicht gut. Ganz und gar nicht gut.
Die Tür ging auf. Tabini trat ein, der Aiji des Aishidi’tat, der Westbundes, der mächtigste Mann des Planeten – weit mächtiger als der Präsident Mospheiras, der nicht einmal seine Fraktion im Griff hatte, geschweige denn über eine Assassinengilde befehligte.
Zum Glück nicht, wie Bren oft dachte.
Damiri folgte, und an dritter bis sechster Stelle kamen die jeweiligen Leibwächter, während sich die Dienstboten beeilten, Anschluß zu finden. Bren verbeugte sich und steuerte auf den freien Sessel am Fenster zu, als klar war, welche Sessel Tabini und Damiri zu besetzen vorhatten.
Die beiden nahmen Seite an Seite Platz, dem herrlichen Ausblick zugewandt, und gaben, von Dienern in Rot und Sicherheitskräften in Schwarz umgeben, ein Bild häuslicher Eintracht und Zufriedenheit ab.
»Gute Fahrt gehabt, nand’ Paidhi?« fragte Tabini. »Ihren vorläufigen Bericht habe ich bereits erhalten. Glückliche Götter, Sie haben Schneid.«
»Die Reise war alles in allem recht erfolgreich, Aiji-ma. Die weniger wichtigen Daten habe ich ausgeklammert. Aber darauf werde ich noch in aller Ausführlichkeit schriftlich eingehen.«
Tabini hob die Hand. »Das sei Ihnen anheimgestellt. Zu dumm, daß Sie so rasch zurückkommen mußten. Ich hoffe, daß Sie darum nichts Wichtiges verpaßt haben.«
»Nein, Aiji-ma.« Es gab keinen Hinweis darauf, daß Tabini die Nachricht des vom Kurs abgekommenen Piloten überhaupt zur Notiz genommen hatte, und so ließ auch Bren die Sache unerwähnt. »Alles Wichtige steht in den Unterlagen, die ich Ihnen habe zukommen lassen. Und es ist nichts dabei, was Anlaß zur Sorge gäbe. Ich würde Ihre wertgeschätzte Aufmerksamkeit gern auf ein paar Vorschläge lenken, die ich zu machen hätte.«
Tabini winkte ab. »Damit sollen sich die Experten und Zahlenjongleure befassen. Mich interessiert vielmehr, was es von Ihrer Seite aus zu berichten gibt. Von nand’ Jason. Was hat es mit dem Tod seines Vaters auf sich?«
Die Atevi hatten viele Umschreibungen für Tod; Tabini wählte das Rohwort selbst. Und wohlgemerkt, er wußte Bescheid. Seit wann? An diese Frage wollte Bren lieber nicht rühren.
»Ich habe ihm geraten, sich mit seiner Mutter in Verbindung zu setzen«, sagte er, »und daß er auf alle Fälle die offiziellen Kanäle benutzen soll. Offenbar ist er über Mercheson-Paidhi informiert worden, anstatt direkt von
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