Atevi 3 - Erbe
Siegellack war bald gebracht. Er steckte nand’ Dasibi die fertiggestellte Mitteilung in die Hand und bat darum, sie weiterzuleiten, worauf Banichi in Erinnerung brachte: »Die Pressekonferenz, nand’ Paidhi.«
Dagegen würde seine Begegnung mit dem Onkel ein Zuckerschlecken sein.
Doch allein der Gedanke an Ilisidi hatte Brens Überlebensgeister geweckt, und das war in Anbetracht seiner Umgebung nur gut so.
Er ging wieder durch den Korridor und in den Bereich, der an die beiden großen Säle grenzte, worin zum einen das Hasdrawad oder Unterhaus tagte, zum anderen das Haus der Lords, auch Tashrid genannt. Letztes Jahr war er, der einzige Mensch auf dem Festland, zum ersten Mal in einer Videoaufzeichnung im Fernsehen zu sehen gewesen, was insbesondere die Kinder, die ihm inzwischen zu Tausenden Briefe schrieben, zunächst in Angst und Schrecken versetzt hatte. In diesem Jahr gab er eine Pressekonferenz, die live übertragen wurde. Gegenüber vom Tashrid war ein Raum dafür hergerichtet worden. Das Dickicht aus aufmontierten Scheinwerfern und Kameras gehörte zu den Begleiterscheinungen eines Lebens am Ort der Macht. Über den Boden schlängelten sich zahllose Kabel, die für den, der nicht acht gab, zu Fallstricken wurden. Vor dem Platz, den er einzunehmen hatte, staken dicht an dicht die Mikrophone.
Den Computer (von dem er sich nur selten trennte), die Notizen und all das, was ihm im Büro zugesteckt worden war, überließ er der Verwahrung einer jüngeren Sicherheitskraft und ging, von Banichi begleitet, an seinen Platz.
Vom grellen Licht geblendet, saß er wartend da, die Hände vor sich auf dem Tisch gefaltet, auf dem die vielen Mikrophone standen.
Auf ein Signal hin meldete sich der erste Reporter zu Wort. »Nand’ Paidhi«, sagte er und bekundete in geschraubten Formulierungen seinen ehrerbietigsten Respekt, bevor er zu seiner Frage kam. Manchmal hatte Bren den Eindruck, als legte man es mit diesen umständlichen Einleitungen darauf an, ihn zum Schlafen oder auf abwegige Gedanken zu bringen.
Die Frage, die sich aus den salbungsvollen Adressen schließlich herausschälte, lautete: »Sind Sie nach Ihrer Inspektionsreise immer noch der Meinung, daß der atevische und der menschliche Anteil am Raumfahrtprogramm nach wie vor gleich gewichtet sind?«
»Ja, der Meinung bin ich«, antwortete er spontan, um sogleich zu präzisieren: »Nicht nur das, Nadiin; es war für mich auch deutlich zu erkennen, daß die Atevi dem Ziel der Raumfahrt sehr viel näher sind als Mospheira. Was nicht heißen soll, daß man sich nun ein wenig mehr Zeit lassen könnte. Wer weiß, welche verzögernden Hindernisse noch auf uns zukommen. Es ist jedoch nicht zu übersehen: Wir machen Riesenfortschritte.« Er war froh, der Nation melden zu können, daß die riskanten Investitionen des Aiji erste Ergebnisse zeitigten: Erfolg brachte Stabilität mit sich – und auch Selbstzufriedenheit, die es allerdings zurückzuweisen galt. »Ich schaue sehr zuversichtlich in die Zukunft der Raumfahrt.«
»Woher nehmen Sie diese Zuversicht im einzelnen, nand’ Paidhi?«
»Was mich ermutigt, ist in erster Linie das Engagement aller Beteiligten, Nadi. Und ich habe mit eigenen Augen die Bauteile gesehen, aus denen die erste Fähre zusammengesetzt wird, die von unserem Planeten aus ins All vorstößt. Es gibt sie wirklich. Außerdem bin ich atevischen Arbeitern begegnet, die mit ihrem Fleiß einen wirtschaftlichen Aufschwung einleiten, der über viele zukünftige Generationen Bestand haben wird.«
»Was sagen Sie, nand’ Paidhi, zu Bedenken hinsichtlich der Kosten«, fragte der Vertreter eines Senders aus dem Süden.
Lord Saigimis Plattform. Keine naive Frage; die war provokativ gemeint. Sie zielte auf den entscheidenden Punkt. Bren hoffte, daß nicht noch weitere Fragen aus dieser Ecke gestellt würden, und konnte sein Mißfallen vor den Kameras nur schwer verbergen.
»Das Schienensystem, auf dem inzwischen fast der gesamte Güterverkehr abgewickelt wird, war im Aufbau ebenfalls sehr teuer«, antwortete er ruhig. »Schauen Sie sich die Arbeitsmarktlage an, Nadiin, oder den Zustand der Industrie. Wenn wir den Atevi die Chance nähmen, ihre Zukunft selbst zu bestimmen, würden die Entscheidungen darüber woanders getroffen. Dem Vertrag gemäß sorge ich mich um den Frieden, und ich sehe den Frieden in Gefahr, wenn das Gleichgewicht in den Beziehungen zwischen Menschen und Atevi gestört würde. So etwas käme uns allen sehr viel teurer zu stehen,
Weitere Kostenlose Bücher