Atevi 3 - Erbe
recht.
Jago schien auch nicht überzeugt davon zu sein. Sie trat ins Zimmer und stellte sich so, daß er den Kopf nicht verdrehen mußte, um sie anzuschauen.
»Gibt’s ein Problem?« fragte er sie.
»Nur ein dummer Junge, der versucht hat, mit der U-Bahn bis zum Hügel durchzufahren. Ohne Passierschein. Aber er hatte immerhin einen Personalausweis dabei. Weil er mit den Wachen gestritten hat, gab’s Alarm.«
»Ist der junge Mann zufällig von Dur?«
»Ja, und offenbar sehr hartnäckig.«
»Man hat ihn doch nicht verletzt, oder?«
»Nein, nein, Bren-ji. Er wird aber langsam lästig. Drei Briefe heute…«
»Drei?«
»Glückliche Drei.« Jago hob drei Finger in die Höhe. »Zwei hätten Unglück bedeutet. Deshalb war er gezwungen, einen dritten hinterherzuschicken.«
Bren mußte schmunzeln. Und lachen.
»Man hat«, sagte Jago langsam, »Ihr Telefongespräch mitgehört, Bren-ji.«
Ein Geständnis, das sich vielfältig auslegen ließ und wie eine indirekte Frage anmutete.
Bren sagte: »Osi«, jenes Wort, was man gemeinhin gebrauchte als Aufforderung, die bestellte Tasse Tee bis zum Rand zu füllen, im übertragenen Sinn aber auch den Wunsch nach möglichst detaillierter Information zum Ausdruck brachte.
»Diese Frau«, anwortete Jago. »Wie war noch gleich ihr Name?«
»Sandra Johnson? Eine Frau, mit der ich früher gesellschaftlich verkehrt habe.« Es gab im Ragischen keinen Ausdruck für befreundet sein, allenfalls Umschreibungen für soziale Kontakte einschließlich solcher, die sich im Bett vollzogen. Gefährlich vermint war dieses Wortfeld für ihn.
Er und Jago hatten – unverfänglich ausgedrückt – Interesse aneinander. Da war Neugier auf den jeweils anderen, aber auch Zurückhaltung und Vorsicht, denn beide waren sich jederzeit ihrer Eigenart, Funktion und Situation bewußt.
Die Luft war plötzlich wie aufgeladen. Er wußte nicht, ob sie dies ähnlich empfand. Seit nun fast einem Jahr lebte er enthaltsam, und das in einem Haushalt voller Frauen, die allesamt, selbst diejenigen, die schon Enkel hatten, kein Hehl daraus machten, daß sie ihn attraktiv fanden. Er hatte an diesem Abend zu sehr in Erinnerungen geschwelgt und den törichten Versuch unternommen, eine alte Geschichte aufzuwärmen mit dem Ergebnis, daß Sandra jetzt in Gefahr schwebte. Womöglich sogar in Lebensgefahr, obwohl er kaum glauben konnte, daß die Zustände so schlimm geworden waren auf Mospheira, wo es doch eigentlich immer friedlich zuging, so friedlich, daß in vielen Kommunen die Haustüren unverschlossen bleiben konnten. Aber er hatte Angst um Sandra und machte sich wegen des Anrufs so schwere Vorwürfe, daß er diese Nacht bestimmt nicht zur Ruhe kommen würde. Hätte er doch Barb erreichen können. Mit Sandra war alles ganz anders gewesen. Viel Spaß. Heiterkeit. Kein Wort über die Arbeit.
Dagegen hatte er Barb mehr darüber erzählt, als ihm erlaubt war. Und als feststand, daß er in absehbarer Zukunft nicht zurückkehren würde, hatte sie einen beamteten Computerexperten geheiratet, dessen gute Stellung beim Außenministerium ihr Sicherheiten gab, die Bren nicht hatte bieten können.
Jago kam näher an seinen Sessel heran, war so nahe, daß er ihre Wärme und ihren Geruch wahrzunehmen glaubte.
»Ich hätte Hanks-Paidhi erschießen sollen«, sagte sie. »Vielleicht«, antwortete er.
Sie legte ihre Hand auf seinen Arm, der auf der Armlehne des antiken Sessels ruhte. »Nadi-ji.«
Sein Herz geriet in Panik. Wilde Panik. Er dachte daran, mit erhobener Hand Einhalt zu gebieten. Aber sie zurückzuweisen war auch nicht, was er wollte.
»Für jemanden, der sich mit der Macht verbündet, gibt es auch Nachteile«, sagte Jago mit jenem vollen, dunkel klingenden Timbre in der Stimme, das nur ein Ateva hervorzubringen vermochte.
»Vom Job des Paidhi hat sich keiner eine klare Vorstellung gemacht. Nicht einmal ich. Jago-ji, Sie glauben, daß Barb mich im Stich gelassen hat, nicht wahr? Aber für Barb gibt es keine Gilde, an die sie sich hätte wenden können. Und meine Familie hat weder Macht noch Einfluß. Sie ist jetzt mit einem Mann zusammen, der zur Regierung stabilere Beziehungen unterhält als ich.«
»Wird Barb-Daja Ihnen helfen?«
»Wenn ich mit ihr sprechen könnte…«
»Was würde sie tun?«
»Nach meiner Mutter sehen.«
»Und sie retten?«
»Das kann sie nicht, Jago-ji. Wie gesagt, es gibt keine Gilde, die sie oder Sandra Johnson zur Hilfe rufen könnte.«
»Aber da gibt es doch, wie ich gehört
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