Atevi 3 - Erbe
angerufen?«
Ehe er antworten konnte, war die Leitung unterbrochen. Er stand am Schreibtisch gelehnt und hielt den Hörer so fest umklammert, daß die Hand ganz fühllos geworden war. Er legte auf und wußte: Er würde alles, was ihm hier, diesseits der Meerenge, zu Gebote stand, in Bewegung setzen können und käme doch nicht durch zu seiner Mutter auf der anderen Seite.
Deana Hanks verbreitete ungehindert Meldungen, die geeignet waren, das Festland in Aufruhr zu bringen. Entweder wußte keiner davon, oder es war niemand in der Lage, sie davon abzuhalten.
Tabini hatte kein Wort darüber verloren, woraus Bren den Schluß zog, daß Banichi – ungeachtet aller anders lautenden Beteuerungen – selbst keine Ahnung hatte oder aber etwas verbarg. Normalerweise war Banichi ehrlich, doch es gab Situationen, in denen er ihn, den Paidhi, durchaus belügen würde.
Die Anspielung auf die Zimmerpflanzen hatte er eingeflochten, um sich Sandra zweifelsfrei zu erkennen zu geben, mußte aber nun fürchten, daß sie alles doch nur für einen schlechten Scherz halten würde. Es stand immer mehr auf dem Spiel. War er schon so lange von zu Hause isoliert, daß er eine Paranoia entwickelte? Was er durch den Vorhang, der Mospheira und den Westbund voneinander trennte, zu spüren bekam, machte ihm jedenfalls wirklich angst.
Er richtete sich auf und blickte in das ernste Gesicht einer Dienerin, die, wie ihm schien, an der offenen Tür des Büros vorbeigekommen und auf ihn aufmerksam geworden war. Oder hatte sein Personal sie geschickt, um nach ihm zu sehen? Weiß der Himmel.
»Haben Sie einen Wunsch, nand’ Paidhi?«
Er wünschte sich einiges. »Ja, wenn Sie mir ein Glas Shibei bringen würden, Nadi. Vielen Dank.«
Mehr Vollmachten, einen doppelt so großen Mitarbeiterstab und jede Menge Zeit, um sich den eigenen Wünschen und Bedürfnissen eingehend widmen zu können.
Aber er war ja nicht einmal in der Lage, Sandra Johnson und ihr Grünzeug zu schützen.
Himmel, wie dumm von ihm, telefoniert zu haben! Er hatte einer Schwäche nachgegeben und Informationen einzuholen versucht, an die er, wie er doch ganz genau wußte, nicht herankommen konnte, weil der ganze mospheiranische Regierungsapparat davor stand.
Hatte er nur bestätigt haben wollen, daß man ihm und allen, die er liebte, auf breiter Front nachstellte?
Eine großgewachsene, freundliche Atevifrau servierte den bestellten Drink auf einem silbernen Tablett und verschwand sogleich wieder auf leisen Sohlen und mit einem Rascheln von Satin, dem ein Hauch von Djossiblüten-Parfüm entströmt war.
Er setzte das geleerte Glas ab. Frühlingsluft wehte durch den Raum, kühl und frisch, mit Düften neuer Dinge.
Er hatte unten am Fuß des Hügels ein gemütliches, kleines Einzimmer-Apartment bewohnt, bevor er in die vornehme, konfliktträchtige Atigeini-Residenz umgezogen war.
Die Glastüren in der alten Wohnung öffneten sich in einen hübschen Garten, den er zusammen mit dem Koch des Bu-javid und einigen Verwaltungsangestellten nutzen durfte, umgängliche Leute, mit denen es nie Ärger gegeben hatte. Dazu hatte er über zwei Dienstboten verfügt und ein kleines Büro ohne Schreibkräfte. Dann aber, in einer regnerischen Nacht, war jemand in die kleine Wohnung eingebrochen – ob ihm jemand von Tabinis Leuten nur einen Schrecken hatte einjagen wollen oder ob tatsächlich ein Anschlag auf sein Leben geplant gewesen war, wußte er nicht, noch war zu erwarten, daß sich die Verantwortlichen im nachhinein dazu erklärten. An eine Aufklärung dachte Bren ohnehin nicht mehr, denn es wäre ihm allzu peinlich gewesen, Leute auszufragen, die er normalerweise als seine Freunde bezeichnet hätte.
Wenn sich diese Leute gegen ihn wenden würden, bliebe ihm hier auf dem Festland nichts anderes übrig, als eine unangenehme Pflicht zu erfüllen.
Plötzlich wurde er gewahr, daß in der dunklen Halle jemand war, und er nahm an, daß eine Dienerin das leere Glas entdeckt hatte. Das Personal war so schnell, daß es manchmal schien, als gäbe es nichts Eiligeres zu tun, als gebrauchte Gläser wegräumen – vielleicht um die für ein Zimmer geltende Zahlenordnung wiederherzustellen oder weil die eine oder andere Dienerin möglicherweise für die historischen Kristallgläser persönlich verantwortlich war. Bren hatte keine Ahnung und auch nie danach gefragt. Als er sich umdrehte, sah er Jago vor sich stehen. »Geht es gut, Bren-ji?«
»Ja.« Ob das gelogen war, wußte er selbst nicht so
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