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Athyra

Athyra

Titel: Athyra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Brust
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Erntewerkzeuge mußten für den nächsten Tag gereinigt werden.
    Als er fertig war, ging er nach draußen hinter den kleinen Schuppen, lehnte sich an einen der Hackklötze und lauschte der Kupfertaube, die irgendwo weiter draußen ihr Nachtlied sang. Bald würde sie nach Süden davonziehen, bis zum Frühling, und mit ihr die Sperlinge und die Weißrücken, die Rotvögel und die Tagediebe. Doch zum erstenmal fragte Savn sich, wohin sie flogen und wie es dort aussah. Im Sommer mußte es ihnen zu heiß sein, sonst würden sie dableiben, aber wie sah es außerdem aus? Lebten dort Menschen? Wenn ja, wie sahen sie aus? Gab es dort einen Savn, der die Vögel beobachtete und sich fragte, was mit ihnen geschah, wenn sie zurück in den Norden flogen?
    Plötzlich kam ihm das Bild eines anderen Savn, eines Savn, der bis auf die Hüfte nackt war und schweißgebadet und ihn anstarrte.
    Ich könnte einfach gehen, dachte er. Nicht wieder reingehen, nicht warten und irgendwas holen, einfach weggehen. Herausfinden, wohin die Kupfertaube fliegt und wer dort lebt und wie sie sind. Ich könnte es jetzt gleich. Aber er wußte, er würde es nicht tun. Er würde hierbleiben und –
    Und was?
    Auf einmal dachte er an die Jheregs, die er auf Tems Dach gesehen hatte. Die Flugreptilien waren Aasfresser, genau wie, im weiteren Sinne, die aus dem Haus der Jhereg. Von den Tieren hatte Savn schon viele gesehen, aber noch nie einen Adligen aus diesem Haus. Wie wäre es wohl, einem zu begegnen?
    Wieso denke ich plötzlich über diese Sachen nach?
    Und: Was passiert mit mir? Unvermittelt wurde ihm schwindelig, so daß er sich beinahe setzen mußte, aber er hatte Angst, sich zu bewegen, denn der Augenblick war gleichermaßen wundervoll wie angsteinflößend. Er wollte nicht atmen, doch er merkte deutlich, daß er es tat, daß Luft in seine Lungen und wieder heraus strömte und sogar seinen ganzen Körper anfüllte, was unmöglich war. Und vor ihm lag eine breite Straße mit Steinmauern und einem entsetzlich schwarzen Himmel. Die Straße hatte kein Ende, und er wußte, irgendwo weiter vorne gab es Abzweigungen, die sonstwohin führen konnten. Und über ihnen ragte drohend das Gesicht des Ostländers auf, den er eben kennengelernt hatte, und irgendwie öffnete der Ostländer vereinzelt Wege und versperrte andere. Die Freude am Verlust und der Schmerz der Möglichkeiten erfüllte sein Herz.
    Ein Teil seines Bewußtseins erkannte, was geschah; manche haben es die Berührung der Götter genannt, und angeblich gab es Mystiker der Athyra, die ihr gesamtes Leben in diesem Zustand verbrachten. Freunde hatten ihm von derartigen Erfahrungen berichtet, aber er hatte ihnen kaum Glauben schenken können. »Das ist, als würdest du die ganze Welt auf einmal berühren«, sagte Korall. »Oder so, als könntest du alles um dich herum sehen und in alle Dinge hinein«, sagte ein anderer, dessen Namen er nicht mehr wußte. Und genauso war es auch, nur reichte es noch wesentlich weiter.
    Was hatte es zu bedeuten? Würde es ihn verändern? In welcher Hinsicht? Wer würde er sein, wenn es vorüber war?
    Und dann war es vorüber, genausoschnell fort, wie es über ihn gekommen war. Um ihn herum sangen die Kupfertauben, und die Grillen zirpten dazu. Er atmete tief durch, schloß die Augen und versuchte, sich dieses Erlebnis ins Gedächtnis einzubrennen, damit er es immer wieder probieren konnte. Was würden Mä und Pä sagen? Und Korall? Polyi würde ihm nicht glauben, aber das war auch nicht wichtig. Ob ihm jemand glaubte oder nicht, war egal. Er würde es nämlich für sich behalten, nicht einmal Meister Wack sollte davon erfahren. Dies gehörte ihm allein, und dabei wollte er es belassen, denn eins begriff er – er konnte fortgehen, wenn er wollte.
    Obwohl er sich nie zuvor darüber Gedanken gemacht hatte, begriff er es mit jeder Faser seines Körpers; er hatte die Wahl, als Medikus in Kleineklippe zu leben oder als etwas Unbekanntes in der Welt dort draußen. Wie würde er sich entscheiden? Und wann?
    Er setzte sich hin und grübelte. Da ließ ihn plötzlich ein abendlicher Herbstwind erzittern, und er ging zurück nach drinnen.
     
    Ihr Name war Rocza, und manchmal hörte sie sogar darauf.
    Während sie aufwärts flog, die Wolkendecke durchbrach und wieder zu atmen begann, wurde der Himmel blau – volles, vieltöniges, tanzendes Blau mit weißen und grauen Punkten, wie jene andersfarbigen Punkte weit unten am Boden, und die konnte sie kaum auseinanderhalten. Die Punkte

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