Athyra
gegessen.«
»Na, ich glaube nicht, daß er durch ist. Lassen wir ihn noch etwas braten.«
»Ich habe Hunger«, sagte Polyi.
»Ich auch.«
Sie starrte ins Feuer und auf den bratenden Norska und fragte: »Wieso haßt er Seine Lordschaft so sehr?«
»Ich weiß nicht genau. Aber er glaubt, Seine Lordschaft hat Zaum umgebracht, und –«
»Kann doch gar nicht sein!« rief Polyi.
»Warum nicht?« fragte Savn.
»Na, es kann einfach nicht sein.«
»Ich weiß auch nicht. Aber Vlad denkt es, und ich glaube, er mochte Zaum oder so.«
»Mochte ihn? Waren sie, du weißt schon, verliebt?«
»Ich weiß nicht.«
»Bestimmt«, sagte Polyi. »Ich meine, man rennt doch nicht los und bringt jemanden um, nur weil der einen auf dem Gewissen hat, den man mochte, oder? Dann hätten wir doch inzwischen jeden Soldaten der Armee umgebracht.«
»Hmm, ich weiß nicht, ob es dasselbe ist.«
»Warum nicht?«
»Weil … keine Ahnung. Vielleicht hast du recht.«
»Ich wette, sie waren verliebt.«
»Also glaubst du jetzt, Seine Lordschaft hat ihn vielleicht doch getötet?«
»Nein, nein, das habe ich nicht gesagt.«
»Was dann?«
»Tja, nur, daß Vlad es vielleicht denkt.«
»Er schien sich ziemlich sicher zu sein.«
»Und? Er ist Ostländer, vielleicht sind die immer so.«
»Vielleicht«, sagte Savn und verstummte.
Dies hier, dachte er, würde jeder als Abenteuer bezeichnen, und so kam es ihm auch vor. Ja, in gewisser Weise war es beängstigend, aber gleichzeitig auch irgendwie komisch, wie in einem Märchen, als wäre es nicht ganz echt.
Savn hatte noch nie zuvor gesehen, wie jemand vor seinen Augen getötet wurde, und doch lag hier dieser Ostländer und sprach allen Ernstes davon, Seine Lordschaft zu töten. Nichts davon kam ihm vor, als stamme es aus seiner eigenen Erinnerung; es war, als habe er es in einem Lied gehört. Die Höhle war echt und das Gefühl, daß er sich auf etwas eingelassen hatte, von dem er sein restliches Leben lang berichten konnte; aber der Tod und die Gefahr waren weit weg, nicht wirklich hier, wie damals, als er vor seinem Haus gestanden hatte.
Zu diesem Erlebnis kam er immer wieder zurück, merkte Savn, weil es ihn erstaunte und neugierig machte, und weil es einen Anfangspunkt zu beschreiben schien. Damals war es ihm wie der Beginn von etwas vorgekommen, aber er hatte nicht erwartet, daß es der Beginn einer Zeit würde, in der er wieder und wieder unwirkliche Dinge durchmachen mußte. Rückblickend ergab es jedoch irgendwie einen Sinn.
Er schaute Polyi an. War es für sie wirklich? Sie runzelte in tiefer Konzentration die Stirn. Er hoffte, daß sie, was sie auch dachte, nicht in Gedankensphären getragen wurde, aus denen sie Schwierigkeiten hatte, zurückzukommen, weil das wirklich und wahrhaftig traurig wäre. Aber wie würde es ihn denn betreffen, wenn es vorbei war? Würde er den Rest seines Lebens lang Albträume haben? Würden er und Polyi schreiend aufwachen, ohne den Grund erklären zu können? Ein Schauder durchlief ihn.
Er erwischte Polyi dabei, wie sie ihn grübelnd anschaute, und ihm wurde bewußt, daß sie ihn mit dem Ostländer erlebt hatte und dabei war, als er zustimmte, daß etwas, das sie womöglich – nein, ganz bestimmt sogar als schlimmes Verbrechen ansah, ihm vernünftig vorkam. Er erwog, ihr alles zu erklären, aber ihm war klar, daß er eigentlich keine Erklärung hatte; er würde warten müssen, bis sie es selbst zur Sprache brachte, falls das je geschah.
Nach einer Weile fragte sie zögernd: »Savn …?«
»Was ist denn, Polyi?«
»Kannst du mir mal was sagen?«
»Klar.«
» Magst du Lova?«
»Vlad, wach auf«, sagte Savn. »Ich glaube, das Essen ist fertig.«
»Ich bin wach«, sagte der Ostländer so leise, daß Savn ihn kaum hörte. »Zeig mir mal den Norska.«
Savn fragte sich plötzlich, wieviel der Unterhaltung Vlad mitgehört hatte, und fand, daß es so oder so dumm gewesen war, alles vor ihm zu besprechen. Er nahm den Spieß von den Steinen und zeigte ihn Vlad.
»Der ist durch«, verkündete der Ostländer. »Hilf mir beim Hinsetzen.«
Savn und Polyi legten den Spieß auf die Steine zurück und stützen den Ostländer.
»Jetzt will ich aufstehen.«
Savn sagte: »Bist du sicher, du –«
»Und helft mir zu den Latrinen.«
»Ach so. Gut.«
Sie nahmen ihn unter den Arm, halfen ihm auf und führten ihn zur anderen Höhle, wo sie ihn hielten, bis er fertig war. Dann brachten sie ihn zurück und halfen ihm, sich an die Höhlenwand zu lehnen. Die
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