Atlan 03 - Lepso 03 - Befreiung in Camouflage
Stacheln unter Drehbewegungen an mich drücken, meinen Schutzanzug ähnlich einer Raspel aufreiben. Mithilfe des Harpunengeräts hielt ich den Abstand, dank der einigermaßen funktionierenden Steuerungsmotoren brachte ich uns ein gutes Stück weg von der Haya.
Der Blähfisch öffnete das Maul, zeigte einmal mehr sein Clownsgesicht, um mich unvermittelt ein weiteres, letztes Mal zu attackieren. Er drängte mich hinab zum korallenbedeckten Boden, widerstand sekundenlang den mechanischen Antriebskräften meines Anzugs. Messerscharfe Spitzen von kristallin geformten Korallenstöcken drohten den Schutzanzug – und mich! – aufzureißen. Ich wich im letzten Moment beiseite und ließ den Harpunenstab los; der Blähfisch bohrte sich mit unvermuteter Wucht ins Korallenbett – und zerplatzte.
Es geschah unglaublich schnell. Eine riesige Luftblase drang hoch zur Oberfläche, die Fetzen des so harmlos erscheinenden Fisches trieben rings um mich, silberglänzende Haken spritzten nach allen Richtungen weg.
Ich schaltete den Antrieb des Anzugs auf Volllast und schwamm den messerscharfen Kristallsplittern davon.
Du hast – wie immer – mehr Glück als Verstand , bemerkte der Extrasinn.
Jubelgeschrei brandete aus mehreren Kehlen auf. Ich drehte mich um und richtete meine Scheinwerfer auf die Haya aus.
Blattwerk trieb, von den Strömungen davongewirbelt, in die Tiefen des Ozeans hinab. Um den kelchförmigen Magen des Gewächses schwammen zwei meiner Leute. Einer stach soeben seitlich hinein, zerfetzte diese letzte Schutzbastion der Krummperle, zog sie vorsichtig hervor und reckte sie triumphierend in die Höhe.
Wir hatten es geschafft, wir hatten geerntet.
Und wir hatten, wie ich befriedigt feststellte, kein einziges Mitglied des Trupps verloren.
»Sechzehn Krummperlen wurden heute geborgen«, brüllte Ezio durch die Baracke. »Eine außerordentlich schlechte Ausbeute, selbst für Kretins wie euch.« Er ließ seine Neuropeitsche durch die Luft zischen. »Wenn es morgen nicht besser läuft, werdet ihr in der folgenden Nacht, statt zu schlafen, ein verschärftes Training absolvieren.«
Kaum jemand hörte ihm zu. Überall sah ich hängende Köpfe. Mein Trupp war der einzig komplett gebliebene. Die Baracke war bloß noch zu zwei Dritteln gefüllt. In den anderen Hallen war der Blutzoll sogar noch höher ausgefallen. Wen sollten die Drohungen des Sklaventreibers also beeindrucken? Wir alle, die Überlebenden, hatten während der letzten Tage dem Tod dutzendfach ins Auge geblickt.
So wie auch gestern kümmerte sich kaum einer meiner Mitgefangenen um notwendige Hygiene, um die Versorgung kleiner Schürfwunden, die man sich an den Gelenken der steifen Anzüge unweigerlich zuzog, oder um vernünftige Nahrungsaufnahme. Resignation herrschte allerorts. Wer konnte schon wissen, ob er die morgige Arbeitsschicht überleben würde? Man erwartete deutlich mehr Pikaste, die sich dem Rausch der Vermehrung hingaben.
Mein Zellaktivator pumpte beruhigende Impulse durch meinen Körper, während ich den Arkoniden, Menschen oder Blues der Baracke half, wo ich nur konnte.
Immer wieder ging ich die Bettreihen ab, betrachtete die vielen Plätze, die leer geblieben waren. Mit manchen der Opfer hatte ich kein einziges Wort gewechselt, andere hatten ihre Lebensgeschichten in wenigen Sätzen vor mir ausgebreitet.
Als Unsterblicher war ich ohnehin dem Fluch ausgesetzt, gute Freunde rings um mich sterben zu sehen. Erinnerungen kamen hoch, ließen sich nur schwer bändigen. Ich hatte diese ständigen Begegnungen mit der Dunkelheit satt, so satt …
»Reden wir«, sagte Ylve kurz angebunden, als ich bei ihr angelangt war. Sie gehörte einer Gruppe an, die bei der Ernte nicht so viel Glück gehabt hatte. Sechs Arkoniden waren während des Kampfes gegen die Haya gestorben; nur sie, das Zwillingspärchen und ein Plophoser lebten noch.
»Du siehst so aus, als wäre es mit dem Kind bald so weit.«
»In drei Tagen«, meinte sie, als könnte sie den Zeitpunkt der Geburt ganz genau abschätzen. »Aber bis dahin …«
»Ja?«
»Ich halte Moral nach wie vor für eine Geisteshaltung, die sich nicht jedermann leisten kann«, fuhr sie leise fort. »Aber vielleicht kannst du mir eine Möglichkeit anbieten, meine Rachegelüste auf eine andere Art und Weise zu stillen?«
»Die Chance, zu entkommen, ist denkbar gering«, gab ich ehrlich zur Antwort. »Aber mit deiner Unterstützung haben wir zumindest eine.«
Ylve zögerte kurz und sagte schließlich,
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