Atlan 06 - Rudyn 03 - Acht Tage Ewigkeit
Rechnung.
Am schwierigsten und zeitaufwendigsten war die notwendige Verkleinerung der beteiligten Systembaugruppen gewesen.
Anfangs hatte ihnen auch die Beschaffung der Einzelteile Kopfzerbrechen bereitet. Doch nachdem Derius Manitzke erst einmal Feuer gefangen hatte, entwickelte er einen Ehrgeiz, der sich bis in seine Tätigkeit als Sensoriker hinein erstreckte. Als eines Tages eine Beförderung anstand, übertrug man Derius die Leitung seiner Abteilung.
Fortan kam er geradezu spielend leicht an die Materialien heran, die sie zur Konstruktion des künstlichen Extrasinns benötigten.
Als tragendes Element ihres Vorhabens erwies sich die Balpirol-Halbleiter-Technologie. Balpirole dienten der Umwandlung von Nervenimpulsen in technische Schaltimpulse und umgekehrt. Sie bestanden zum Teil aus biologisch lebender Materie, teils aus anorganisch-materiellen Stromleitern. Verwendung fanden solche Hybridleiter in Biopositroniken und Hyperinpotroniken, in der Medizin vor allem in Prothesen.
Genau hier setzten Vitalis Spezialkenntnisse an. Er war Facharzt für Implantate und organische sowie halborganische Kunstgliedmaße.
Im Fall des künstlichen Extrasinns galt es, Bioponblöcke so zu verkleinern, dass sie in subkutanen Arealen, vor allem im Kopfbereich einsetzbar, also unter der Haut und im Gewebe eines potenziellen Trägers verankerbar wurden. Die synthoorganischen Verbindungseinheiten zwischen mechanischelektrischen Steuerleitern und organischen Nervenbahnen bewirkten die sogenannte hypertoyktische Verzahnung, die Umwandlung von organischen Impulsen – normalerweise vom Bioplasma kommend – in technisch nutzbare Steuerschaltungen.
In ihrem Fall ersetzten sie die Bioplasma-Komponente durch die Hirnaktivität des Trägers. Die Steuerschaltungen bezogen sich auf hochauflösende Nanokameras, Richt- und Breitbandmikrofone, Wärmedetektoren, olfaktorische Sensoren und kinesthetische Berührungsareale. Eine Mikro-Biopositronik, das Kernstück des künstlichen Extrasinns, wertete einerseits die Sensordaten aus und lieferte andererseits die Ergebnisse über rückwirkende Balpirol-Leiter direkt an das Trommelfell des Trägers.
Derius brachte in das Projekt sein Wissen über Nanosensorik, Positronikprogrammierung und Biotech-Interface-Schaltungen ein; Vitali sorgte für die medizintechnische Implementierung der Komponenten.
Schon früh hatten sie entschieden, dass nur Derius als potenzieller Träger des künstlichen Extrasinns in Frage kam. So gern Vitali selbst von den zu erwartenden Einflüsterungen des »Extrasinns« profitiert hätte, so wenig konnte er die notwendigen Operationen an sich selbst durchführen und etwaige spätere Nebenwirkungen behandeln.
Sie hatten sich selbst höchste Geheimhaltung auferlegt. Was sie vorhatten, war vor dem Hintergrund der Zentralgalaktischen Rechtssprechung nicht direkt illegal; was sie im Zuge der Beschaffung indes taten, allerdings schon. Im Laufe der Zeit fälschte Derius Hunderte von Lagerbestandslisten; Vitali nutzte seinen Einfluss, über die Einrichtungen des Klinikums in vielfältiger Weise zu verfügen. Sich selbst gegenüber rechtfertigten sie ihr Tun mit dem späteren Vorteil, den sie dem gesamten Volk der Rudyner zukommen lassen würden.
Erst, wenn der Extrasinn fehlerfrei und zur vollen Zufriedenheit arbeitete, wollten sie damit an die Öffentlichkeit gehen; erst dann sollte ihr Produkt in Serie hergestellt werden. Dr. Vitali Vagansk rechnete sich hohe Chancen auf den Erhalt des ZGU-Preises für »Die Gemeinschaft stärkende Forschung« aus; und Derius Manitzke würde als der erste Rudyner, ja, als der erste Terraabkömmling überhaupt bekannt werden, der einen funktionstüchtigen künstlichen Extrasinn erhalten hatte.
Ihnen beiden war bewusst, was sie da anstrebten – keine Reaktivierung irgendeines biologischen Hirnfragments, sondern eine technisch-medizinische Meisterleistung.
Eine Leistung, die, auf breiter Front eingesetzt, die Menschen der Zentralgalaktischen Union weit über die übrigen Sternenvölker der Galaxis hinausheben und die anderen förmlich in die Rückständigkeit katapultieren würde.
Vitali Vagansk war mit dem dann erzielten medizinischen Durchbruch vollauf zufrieden. Mit dem ZGU-Preis in der Kitteltasche würde man ihm früher oder später den Chefarztposten der Urdhana anbieten. Alle Ärztinnen und Medoassistentinnen würden ihm zu Füßen liegen. Was konnte ein Mann mehr wollen im Leben? Auf extrasinnbasierende Anmachsprüche brauchte er dann
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