Atlan 06 - Rudyn 03 - Acht Tage Ewigkeit
ohnehin nicht mehr zurückzugreifen.
Derius Manitzke träumte sich in schlaflosen Nächten dagegen weiter, viel weiter, während vor seinem geöffneten Fenster die Myriaden Sterne des nahen Zentrums blinkten. Es mochte gar sein, dass Rudyn dereinst einmal nicht nur das Zentrum der Union, sondern den Mittelpunkt der gesamten Galaxis darstellen würde. Hervorgebracht letztlich von einem Mann, der es wagte, aus der gleichförmigen Masse hervorzutreten und der gesamten Milchstraße eine neue, künstlich erweiterte »Stirn« zu bieten. Man würde ihm, Derius, ein Denkmal setzen. Er würde seine eigene Form von Unsterblichkeit erfahren.
Zehn Jahre , dachte Derius. Und wenn das alles, wenn die ganze Plackerei umsonst war und es einfach nicht funktioniert? Wenn wir irgendetwas übersehen haben?
Es gab nur einen Weg, das herauszufinden.
Er suchte den Augenkontakt zu Vitali. Der senkte beruhigend die für einen Mann auffallend langen und seidigen Wimpern; ein Trick, den er bei diversen Tête-à-têtes eingesetzt und perfektioniert hatte. Er funktionierte auch hier.
»Niemand wird etwas merken, Deri«, fügte er hinzu. »Die von mir ausgestellten Atteste weisen nach, dass alle vorgenommenen Implantate vom medizinischen Standpunkt her notwendig sind. Sie stabilisieren deine Gesundheit.« Er zwinkerte wie ein Schuljunge.
Auf Rudyn schrieb man, wie auf allen anderen von Menschen besiedelten Welten, den 11. August 3102 Standardzeit. Die Uhr über der Tür des Untersuchungsraumes zeigte 13:01.
Derius griff an sein Ohrläppchen und schaltete den Extrasinn ein.
Glaub mir, ich meine es gut mit dir
Trilith Okt; Vergangenheit
Sofort nach dem Aufwachen wusste sie, wo sie war. Und obwohl sie von völliger Dunkelheit umgeben war, hätte sie das leise Summen und das regelmäßige Zischen der positronisch-medizinischen Gerätschaften jederzeit und in jeder Lage wiedererkannt. Viele Stunden bangen Hoffens und Wartens hatte sie in der Medostation der GAHENTEPE am Bett ihrer Schicksalsgefährtin Lalia Bir verbracht, hatte dem steten Auf und Nieder des künstlichen Atemspenders zugesehen und sich gefragt, ob Lalia jemals wieder die Augen aus eigener Kraft würde öffnen können.
Dann ist das Schiff also doch noch gekommen und hat mich wieder aufgenommen , dachte Trilith Okt. Und Lalia lebt noch!
Im Hintergrund schwirrten jene unzähligen Mikrobots, die Lalias Leib umtanzten und unter anderem die Schlackestoffe aus ihrem Körper abtransportierten, die von spezialisierten Nanobots in den Gefäßen gesammelt und an die Hautoberfläche gebracht wurden. So jedenfalls war es gewesen, ehe die GAHENTEPE Trilith Okt zu ihrer abschließenden Prüfung auf Fauron abgesetzt – und ihr mit einem gezielten Schuss den linken Unterschenkel vom Körper abgetrennt hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Lalia Bir im Wachkoma gelegen, ohne erkennbare Aussicht auf Besserung.
Dann fiel ihr ein, dass sie schon mindestens einmal nach ihrem Planetenaufenthalt in der GAHENTEPE zu sich gekommen war. Der Beinstumpf war nahezu verheilt, das Schiff hatte ihre Wunden versorgt gehabt, nicht nur die Amputationsnarbe, sondern auch die Hinteraugen, die Risse, Hautabschürfungen und Schrammen; mehr als fünfzehn Stunden hatte sie in totaler Erschöpfung geschlafen.
Mühsam drängte Trilith die aufkommenden Erinnerungen an ihren fast drei Tage währenden Prüfungsmarsch zurück. Die flüsternden Schmetterlinge, der reißende Strom … Nur das letzte Bild wollte nicht verschwinden.
Noch krabbelten vor Triliths innerem Auge die käferartigen Tix an dem unförmig aufgedunsenen Leib Morchetes herum. Noch fraßen sie mit schier endloser Gier – und gieriger Endgültigkeit – das in sich hinein, was einst eine glücklose Patriarchin einer havarierten Springersippe gewesen war. Noch sah sie wie in Zeitlupe ihre Behelfskrücke zur Seite fallen, erlebte noch einmal ihr Schwanken und Stürzen mit und das erlösende Gefühl, doch nicht zu stürzen, sondern, von aller Anstrengung befreit, zu schweben.
Ja, in diesem Moment musste das Schiff gekommen sein und hat mich emporgetragen , dachte Trilith Okt erleichtert.
Mit der Erleichterung setzte das Zittern ein.
Eine Art Schüttelfrost überfiel die junge Frau, ein Zittern, das in ihrem linken Bein begann und sich binnen weniger Sekunden über ihren ganzen Körper ausbreitete. Wie Wellen liefen Beben um Beben hinauf und hinab, und in den Wellentälern sammelte sich ätzender Schmerz, der in ihren Adern explodierte.
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