Atlan 06 - Rudyn 03 - Acht Tage Ewigkeit
jedoch pechschwarz. Er trug einen bis zu den Waden reichenden Mantel mit langen, weiten Ärmeln.
Der Graubärtige drängte den Heiler beiseite. Er musterte uns mit unverhohlenem Abscheu. Er nickte bestätigend zu Kettat hinüber, ehe er sich kurz über die beiden Verletzten beugte. Als er sich wieder aufrichtete, mied er es, mich anzusehen.
Der Kahlköpfige, der nach der Art der Dorfbewohner in Hose und lange Jacke gekleidet war, verschränkte seine Arme vor der Brust und stellte sich stumm neben dem Eingang auf; seine Augen nahmen jede Kleinigkeit auf und blieben einen Moment länger an Trilith hängen als an mir; seine Körperspannung verriet, dass er bereit war, binnen eines Sekundenbruchteils zu reagieren. Ein Dolch, noch länger als Triliths Vibroklinge, steckte in seinem Gürtel.
Der Ältere, der in seinem weiten Gewand etwas von einem ägyptischen Priester an sich hatte, trug nur einen langen, kunstvoll verzierten Stab, auf den er sich stützte. Kettat, der Dorfvorsteher, trat ans Feuer und vertiefte sich scheinbar ganz in den Anblick der Flammen. Ganz konnte er allerdings das Grinsen in seinem Gesicht nicht verbergen. Woher die Abneigung der beiden Männer rührte, blieb mir zunächst ein Rätsel.
Ti Sun, die wieder bei Neife kniete und die Verätzungen der Kalfaktorin mit einem wassergetränkten Tuch kühlte, unterbrach ihre Tätigkeit und verneigte sich.
» Nallathu «, sagte sie, zu dem Graubärtigen gewandt. »Du bringst unerwartete Ehre in unser Dawakaibun.«
Dawa hieß auf Hindi Medizin oder Heilung; wir befanden uns also im örtlichen Genesungshaus.
Der Begriff Nallathu könnte aus dem Tamilischen stammen , ergänzte der Extrasinn. Es gibt ein gleichlautendes Wort in dieser Sprache mit der Bedeutung »gut«, hier wahrscheinlich als Titel gebraucht.
»Und du beschmutzt es, wie ich sehen muss!«, fuhr sie der Graubärtige an. »Wie kannst du es wagen, diese Rogiwnizu hierher zu führen?«
»Seit wann ist es ein Wagnis, bedrohten Menschen zu helfen?«, fragte Ti Sun zurück. Sie warf ihr schwarzes Haar über die Schulter.
»Sie sind Rogiwnizu; ihnen ist nicht zu trauen.«
»Sie hatten Verletzte bei sich; die Pflicht zu helfen gebot es mir.«
»Sie werden Schuld auf sich geladen haben; niemand wird ohne Grund verfolgt.«
»Sagst gerade du nicht stets: Wer schuldlos ist, der werfe den ersten Stein?«
Die beiden standen sich inzwischen Auge in Auge gegenüber.
Rede und Wechselrede waren so schnell aufeinander eingeprasselt, dass ich annahm, dieser Disput sei nur die Fortsetzung eines anderen, früher geführten Streitgesprächs, in dem es gar nicht vordringlich um uns, sondern um eine grundlegende Meinungsverschiedenheit ging.
Kan Yu räusperte sich. Mehr nicht. Doch diese Äußerung genügte, die Aufmerksamkeit aller auf ihn zu lenken.
»Jegliches Leid gemahnt an den Eid«, sagte er leise. »Ihr vergesst euch.« Er wandte sich Trilith und mir zu. »Wir werden später reden. Eure Gefährten haben Vorrang.« Er warf dem Hageren einen tadelnden Blick zu. »Auch vor dir, Kala. Was geschieht, folgt der Großen Absicht. Muss ich etwa dich daran erinnern? Nimm deine Männer und erwarte uns im Gästekaibun.«
Ohne sich weiter um den Nallathu und die beiden anderen Männer zu kümmern, legte er seinen weiten Mantel ab, kniete an der Bettstatt nieder und konzentrierte sich ganz auf Neife Varidis.
Vorsichtig entfernte er die Kompressen von ihren Augen.
Seine Fingerkuppen berührten dabei kaum die Haut der Kalfaktorin. Wie zuvor auch Ti Sun lauschte er in sich hinein; dann fuhr er mit der Hand nacheinander an ihren Scheitel, an die Stirn, den Hals, das Brustbein, den Unterleib. Dabei vermied er jeden Hautkontakt, seine Hand schwebte immer etwa einen Zentimeter über Neifes Körper.
Die Chakren! , interpretierte der Extrasinn. Er fühlt in ihre Chi-Zentren hinein.
Chi, Qi oder Ki war die Bezeichnung der Lebensenergie. Nach den alten, in Indien, China und Japan praktizierten Heilmethoden kam dem geheimnisvollen Energiefluss des Körpers bei jeder Form der Heilung eine höhere Bedeutung zu als alle biochemischen und biophysikalischen Prozesse zusammen, einfach deshalb, wie die letztgenannten die Wirkung, die erstgenannten die Ursache darstellten. Vieles an dem, was mir vor über zehntausend Jahren Fartuloon beim Studium des Dagor beigebracht hatte, fand seine Entsprechung in terranischen Lehren wie der des Ayurveda oder der chinesischen Heilkunst. Alle Meditation des Zen oder des Dyana, die
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