Atlan 14 - Monolith 04 - Der Silbermann
dessen Einfluss.
Die Farben Grün und Gelb beherrschten unser Sehen. Auf einer Sauerstoffwelt wie der Erde hätten sie Boten eines wunderbaren Frühlingstags sein können. Das saftige Grün junger Triebe oder das fröhliche Gelb kleiner Blüten, die sich Kinder in die Haare steckten.
Nicht so auf diesem Planeten. Hier verhießen die Schlieren nichts Gutes. In der Atmosphäre aus Stickstoff und Chlor konnte kein Leben entstehen, wie man es von Arkon, Terra oder einer der unzähligen Welten her kannte, über die sich die Nachfahren der Lemurer während Zehntausenden von Jahren verteilt hatten.
Hier standen Gelb und Grün für den Tod.
Narr! , meldete sich mein Extrasinn. Du kamst nicht hierher, um über Urlaubsziele zu sinnieren. Du folgst einer Spur. Darauf sollte sich dein Denken konzentrieren!
Ich ging nicht auf seine Mahnung ein. Mein Logiksektor hatte zwar recht, doch wir würden wahrscheinlich noch eine Weile unterwegs sein, bis wir den Stützpunkt erreichten, in den die Einheimischen Iasana Weiland und die Silberherren gebracht hatten. In der Zwischenzeit wollte ich die Welt auf mich wirken lassen.
Logische Betrachtungsweisen waren das eine. Über die Jahrtausende hatte ich jedoch gelernt, dass der Instinkt, das Bauchgefühl , in unerwartet auftretenden Situationen oft zu nützlicheren Ergebnissen führen konnte als das bloße Handeln nach einer vorher erstellten Eventualplanung. Und dieser Instinkt benötigte ebenso Nahrung, wie logische Prozesse von Fakten abhängig waren. Dazu musste der Instinkt erst geschult werden.
Romantischer Narr!
Je häufiger du dieses Wort benutzt, desto mehr verliert es von seiner schrecklichen Wirkung auf mich , stichelte ich in Gedanken. Der Logiksektor verzichtete auf eine Entgegnung.
Unter uns glitt der moosbewachsene Boden vorbei. Ich blickte auf und sah in Flugrichtung eines der rätselhaften Objekte in Schneckenhausform aufragen, denen wir schon mehrmals begegnet waren. Sie ragten an die fünfzig Meter empor und machten den Eindruck, als hätten sie den Boden wie die Spitze eines Bohrers durchstoßen und wären im Laufe von Jahrzehnten in die Höhe gewachsen.
Das erste Schneckenhaus-Gebilde, dem wir begegnet waren, hatten wir etwas näher unter die Lupe genommen, doch es hatte seine Geheimnisse vor unseren ungenau arbeitenden Instrumenten bewahrt. Das weiße Material wirkte wie unbearbeiteter Marmor. In der Zoomfunktion der Helmoptik offenbarte sich eine regelmäßige Maserung in Wabenform mit zahlreichen mikroskopisch kleinen, porenartigen Öffnungen.
Ich hatte daraufhin den Verdacht geäußert, dass es sich bei dem Gebilde um eine Art Korallenriff handelte. Um einen Organismus, der lebte und wuchs und sich dabei in irgendeiner Form von seiner Umgebung ernährte. Von Licht beispielsweise oder von pflanzlichen Schwebeteilchen. Vielleicht sogar von tierischem Leben, wenngleich wir bisher noch keine Anzeichen für solches gefunden hatten.
Der Extrasinn war bei dieser Theorie – wie so oft seit unserem intensiven Erlebnis an Bord der IMASO – überhaupt nicht meiner Meinung gewesen.
Calipher-SIM flog eine sanfte Kurve um das Gebilde herum. Ich machte die Bewegung mit und die gekoppelten Anzüge der anderen folgten synchron. Nachdenklich blickte ich auf das riesige weiße Ding und kniff unwillkürlich die Augen zusammen. Täuschte ich mich, oder hatte ich eben ein blaues, wurmartiges Tier in einer der Rillen zwischen den Windungen gesehen? Ich zoomte den Bereich mit der Helmoptik heran, konnte das Geschöpf jedoch nicht mehr erfassen. Ich schüttelte den Kopf und schaute wieder gerade aus.
Eine Weile flogen wir schweigend nebeneinander her.
»Major Santjun«, sagte ich nach einer Weile. »Nun ist es an der Zeit, dass Sie uns etwas mehr Informationen zu den Silberherren liefern, in deren Gefangenschaft Sie sich befunden haben.«
»Wie ich bereits angedeutet habe, nennt sich ihr Anführer Onjar Marik. Insgeheim wird er von seiner Gefolgschaft – insbesondere seiner früheren Lebensgefährtin, der Ärztin Thalia Lacroix – nur ›das Ekel‹ genannt. Er schien mir krank vor Hunger nach Macht und Einfluss zu sein. Mehr als einmal habe ich Tobsuchts- und Jähzornattacken miterlebt, die er fast nicht beherrschen konnte. Daneben schien er eine tiefe Befriedigung darin zu empfinden, mich zu foltern.«
»Wie schätzen Sie ihn als Gegner ein?«
»Gefährlich«, antwortete Santjun sofort. »Sehr gefährlich. Unter Druck handelt er schnell, präzise und rücksichtslos.
Weitere Kostenlose Bücher