Atlan 16 - Monolith 06 - Sprung ins Jenseits
es vorfanden, genau wie bei den Gräbern. Aus Respekt vor den Toten.«
»Hast du das veranlasst?«
Chrus schwieg. Ich nickte. Alle Achtung, dachte ich, sie besaß nicht nur diplomatisches Geschick und Selbstbewusstsein, sondern zudem Pietät, eine Eigenschaft, mit der ausgrabungswütige Archäologen nur selten gesegnet waren. Sie zog eine kleine Metallplatte aus der Tasche und reichte sie mir.
»Was ist das?«, wollte ich wissen.
»Diese Platte haben wir auf der Mumie gefunden. Jemand hat mit einem nadelfeinen Thermostrahl das Abbild einer lächelnden Katze eingraviert.«
Ich hob die Metallplatte vor meine Augen. Eine lächelnde Katze, in der Tat. Das Symbol des Lemurers Anat Serkuloon. Calipher-SIM hatte es sich bei der Suche nach seinem Herrn zu eigen gemacht. Der Roboter war hier bei Santjun gewesen. Bevor ich eine weitere Frage stellen konnte, bewegte sich Deirdre Chrus zum Hütteneingang.
»Was hast du vor?«
»Ich gehe in die Basisstation und erledige ein paar Dinge.« Sie fasste den Berg Aufzeichnungen ins Auge. »Ich nehme an, du willst die Originale in Ruhe studieren.«
»Das habe ich vor, ja.«
»Der Resident und ich dachten uns das. Das Raumschiff steht uns für einen unbegrenzten Zeitraum zur Verfügung. Du hast soviel Zeit, wie du brauchst. Das Schiff wartet. Positronische Lesegeräte für die Datenspeicher findest du in der Station. Bei Fragen stehe ich dir jederzeit zur Verfügung.« Die Agentin verließ die Hütte.
»Dann wollen wir mal, Major«, murmelte ich und begann mit der Sichtung von Santjuns Aufzeichnungen.
Im Mai 3112 war Santjun 51 Jahre alt gewesen, sein Tod war 119 Jahre später eingetreten. Calipher-SIM war ihm, ich hatte es selbst erlebt, durch das Portal gefolgt und hatte ihm das Leben gerettet. Malcher war nach dem Durchgang viel weniger geschwächt gewesen als Santjun und hatte ihn umbringen wollen, doch der Roboter war ihm zuvorgekommen. Er hatte Malcher getötet und dessen Silbermetall an Santjun übergeben.
Santjun hatte schnell herausgefunden, dass er auf dieser Welt gefangen war. Er hatte sie nicht verlassen können. Bei seinen Versuchen, Kontakt zu anderen Lebewesen aufzunehmen, war er mit seinem Raumanzug bis ins All hinaufgeflogen, doch er hatte keinen Erfolg gehabt. Er war ein Gefangener geblieben, abgeschnitten von allem, das über diesen Planeten hinausging. Schließlich war er in Depressionen gefallen und hatte eine Phase der Verzweiflung durchlebt, doch schon nach kurzer Zeit hatte er begonnen, sein Schicksal zu akzeptieren, und sich an die Nachforschungen über die Verlorenen gemacht.
Fast frenetisch ging ich die Aufzeichnungen durch, die Santjun hinterlassen hatte, beseelt von der Überzeugung, sie würden eines Tages anderen Menschen in die Hände fallen. Damit, dass ausgerechnet ich sie nun durchsah, hatte mein kurzzeitiger Weggefährte wohl nicht gerechnet, doch ich war sicher, dass die Vorstellung ihm gefallen hätte. Seine Aufzeichnungen über die Verlorenen deckten sich mit den Wissensbruchstücken, die ich bereits besaß, und ergänzten sie um die entscheidenden Komponenten, die ein stimmiges Bild ergaben.
Tatsächlich hatten die Verlorenen das Monolithen-System als Fluchtweg gebaut, um dem Großen Galaktischen Krieg zu entkommen, den die Horden von Garbesch im Auftrag der Superintelligenz Seth-Apophis in die Milchstraße getragen hatten. Die Verlorenen hatten mit dem Ritter der Tiefe Armadan von Harpoon und der Koalition der Petronier, der Galaktischen Ingenieure, in Kontakt gestanden, die sie beim Bau der Monolithen unterstützt hatten. Da er sich davon eine Hilfe im Kampf gegen die Horden des Seth-Apophis versprochen hatte, hatte Armadan Orbiter abgestellt, die beim Bau behilflich gewesen waren.
Die Wissenschaftler der Verlorenen hatten den Hyperraumkokon Ordhogan entdeckt, rund um den ursprünglichen Standort dieses Sternhaufens in der Milchstraße eine ringförmige Anordnung von Monolithen angelegt und so einen Übergang in diese Sphäre geschaffen, in der sie sich Sicherheit versprachen. Der Durchgang hatte aber durch eine interdimensionale Grenzschicht zwischen den Raum-Zeit-Kontinua des Multiversums geführt.
Die Tiefe , schoss es mir durch den Kopf. Ohne es zu beabsichtigen, hatten die Verlorenen einen Weg in den Bereich gebahnt, der mit normalen Mitteln nicht zu erreichen war. In der Tiefe waren die Kosmonukleotide des Moralischen Kodes eingebettet.
Wie ich längst wusste, war der Versuch, den Horden mittels der Monolithen zu
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