Atlan TH 0002 – Schergen der SOL
versuchten sich die Buhrlos natürlich zu schützen, meist durch offen oder versteckt getragene Atemmasken, die jenen Körperteil vor Druckverlust schützen sollten, der vom Papillo-Versagen am meisten bedroht wurde – den Kopf.
Jedoch hatte diese Vorsichtsmaßnahme einen Haken. Die Buhrlos waren nicht nur deshalb ohne Raumanzug im freien Weltraum, weil sie es konnten, sondern weil sie darauf angewiesen waren. Nur die regelmäßige extreme Belastung der Körperoberfläche, wie sie im freien Raum stattfand, führte zu jenem Maß an Hautabnutzung, das nötig war, um in der Folge das einwandfreie Funktionieren in einer Atmosphäre sicherzustellen.
Kav Wergen hatte das kritische Alter erreicht. Das ließ ihm zwei Möglichkeiten. Er konnte so lange an Bord bleiben, bis sich sein Hautpanzer auch ohne Vakuumeinwirkung schloss. Dann starb er mangels ärztlicher Versorgung an den Giften seines Stoffwechsels.
Oder aber er ging noch einmal hinaus in den Raum – und riskierte, dass seine Papillos versagten und er im Vakuum des Alls starb.
Kav Wergen hatte diese Entscheidung längst getroffen. Er wollte hinaus in den Raum. Er wusste, dass er dort nicht lange überleben würde, aber er wollte an dem Ort sterben, an dem sich ein Buhrlo am wohlsten fühlte.
Kav setzte sich in Bewegung. Seine Glieder waren steif, und jeder Schritt tat weh. Er begegnete niemandem, als er sich langsam zur Schleuse schleppte. In den Gängen wurden die Lichter gedimmt. Die Nachtzeit brach heran. Für Kav Wergen war das immer die schönste Zeit des Tages gewesen.
Eigentlich hatte er gehofft, dass einige seiner Freunde in der Nähe sein würden, wenn er starb. Wenn er in jenes Kontinuum wechselte, aus dem es keine Nachrichten gab, dann wäre es schön gewesen zu wissen, dass sein Tod betrauert wurde. Wenig erschien dem Buhrlo deprimierender als das Gefühl, zu gehen und einfach vergessen zu werden. Doch er hatte nicht den Mut aufgebracht, seine Freunde zu rufen, und so ging er den letzten Gang allein.
Kav Wergen legte die Hand auf die Bedienungsinstrumente der kleinen Schleuse. Ein heftiger Schmerz zuckte durch seine Schulter. Er hatte es befürchtet. Schon wieder war ein Teil der Haut so stark verhärtet, dass er fast bewegungslos wurde.
Der Buhrlo wusste, dass er bestenfalls noch ein paar Stunden hatte – und mit jeder Minute schwand die Aussicht, das letzte Ziel erreichen zu können.
Er schaffte es, die Schleuse zu öffnen, fiel mehr in den kleinen Raum hinein, als dass er ging. Sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Kav Wergen stöhnte, zog die Beine an den Körper und wälzte sich vorwärts. Er war schon immer ungewöhnlich willensstark gewesen, und das zeigte sich auch jetzt. Andere hätten vielleicht aufgegeben, nicht jedoch er.
Der alte Mann brauchte viel Zeit, um seinen Körper in die Schleuse zu schleppen. Als er es endlich geschafft hatte, war er völlig ausgepumpt. Noch war sein Problem nicht gelöst. Er musste die Schleuse wieder schließen, die Luft absaugen lassen und das äußere Tor öffnen. Erst dann konnte er endlich hinaustreiben in die endlose Weite.
Er schaffte es nicht. Tränen stiegen ihm in die Augen, als er zum wiederholten Mal versuchte, sich hochzuziehen. Er brauchte nur einen Knopf zu drücken, einen lächerlichen Knopf. Aber er kam nicht mehr an ihn heran. Er war zu schwach und steif geworden.
Kav Wergen sank in sich zusammen. Also doch, Tod durch innere Vergiftung. Kein angenehmes Sterben, aber das Schicksal hatte nun einmal so entschieden. In seinem beschränkten Blickfeld tauchte ein Gesicht auf.
»Da bist du ja, Kav«, sagte die junge Ferratin. »Ich habe dich gesucht. Du willst hinaus, nicht wahr?« Kav Wergen machte eine zustimmende Geste – er formte mit der linken Hand einen Kreis aus Daumen und Zeigefinger: Zustimmung und Zeichen der Zuneigung in einem.
Tordyas Gesicht glänzte nass. Doch diesmal weinte sie nicht wegen eines geheimnisvollen Fremden namens Atlan. Ihre letzten Tränen hatte sie für einen alten, sterbenden Buhrlo aufgespart. Kav spürte einen Kloß in seiner Kehle. Es war ein gutes, ein tröstendes Gefühl.
Tordya nickte und lächelte. Dann verschwand ihr Gesicht wieder aus Kav Wergens Blickfeld. Er konnte hören, wie das innere Schleusentor zufiel. Die Pumpen begannen ihre Arbeit. Sie saugten die Luft aus der Schleusenkammer. Der wertvolle Sauerstoff durfte der SOL nicht verloren gehen.
Ein wohliger Schauer lief durch Kavs Körper, als sich seine Haut auf die Vakuumbedingungen
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