Atlan TH 0003 – Der Katzer
Reparaturen tatsächlich in der Umlaufbahn durchgeführt werden mussten oder nicht auch während des Fluges hätten stattfinden können. In dieser Hinsicht war er auf die Aussagen der Fachleute angewiesen, und bislang hatte er keinen Anlass gehabt, an deren Sachkenntnis zu zweifeln. In den vergangenen Jahren war der Flug des Generationenschiffs ohne jede größere Panne verlaufen.
Manchmal jedoch bereitete ihm der Gedanke Unbehagen, dass unter mehreren Zehntausend Solanern nur eine vergleichsweise kleine Anzahl von Personen, hauptsächlich Techniker und Wissenschaftler, in der Lage war, das Schiff in allen seinen Funktionen zu begreifen und, damit einhergehend, zu warten und zu steuern. So etwas mochte sehr leicht zu einer Cliquenbildung führen, zu einem Elitedenken, das für den Bestand der Gemeinschaft an Bord katastrophale Folgen haben konnte.
In Zusammenhang mit der langen Dauer des Orbitalflugs begannen ihn solche Überlegungen wieder einmal zu beschäftigen. Nicht, dass er misstrauisch war. Er hätte SENECA befragen können, und der Rechner hätte ihm präzise Auskunft darüber gegeben, inwieweit die Einhaltung der Umlaufbahn tatsächlich erforderlich war. Aber er vermochte sich des unterschwelligen Zweifels nicht zu erwehren, der immer dann entstand, wenn man auf die Aussagen anderer angewiesen war, ohne selbst fundiertes Wissen zu besitzen.
Nur deshalb hatte er sich dazu hinreißen lassen, den Chef der Wartungstrupps zu sich zu bitten. Er erwartete keine tiefschürfenden Erklärungen und keinen präzisen wissenschaftlichen Bericht von ihm. Er wollte weiter nichts als mit ihm reden, um die eigene Unsicherheit zu zerstreuen.
Cleton Weisel war ein großer, hagerer Mann, dessen ungeschickte Bewegungen allzu leicht darüber hinwegtäuschten, welche Kapazität er auf seinem Gebiet war. Erst wenn man mit ihm sprach und in seine Augen sah, erkannte man, welche ausgeprägte Persönlichkeit sich hinter seiner flachen Stirn verbarg.
Er betrat die Kabinenflucht in aufrechter, nahezu stolzer Haltung. Das allein wirkte schon störend auf Gavro Yaal. Bisher war ihm nie so deutlich bewusst geworden, dass er gegen diesen Mann so etwas wie eine persönliche Abneigung empfand.
Er war jedoch entschlossen, sich nichts davon anmerken zu lassen. Er bot dem Besucher einen Sitzplatz an und bemühte sich dabei, völlig unverfänglich zu wirken. Allerdings hielt er sich nicht mit einer Vorrede auf. Ohne Umschweife kam er zum Thema. »Ich wollte mich bei dir erkundigen, ob es wirklich nötig ist, dass deine Leute die Wartung des Triebwerks zum jetzigen Zeitpunkt vornehmen. Viele Solaner können nicht verstehen, dass wir so lange im Orbit bleiben.«
»Die Arbeiten sind erforderlich und wurden begonnen, als wir in die Umlaufbahn einschwenkten«, erklärte Cleton Weisel bereitwillig. »Sie werden spätestens morgen Abend beendet sein. Es ist zwar möglich, sie für eine Beschleunigungsphase zu unterbrechen. Ich halte das aber nicht für ratsam.«
Unwillkürlich kniff Gavro die Augenlider zusammen. »Wäre so etwas gefährlich?«, wollte er wissen.
»Das nicht unbedingt ...«
Cleton sprach gedehnt, und es hatte den Anschein, als suche er nach den richtigen Worten.
»Also?«, bohrte Gavro. »Warum sollten wir den Orbit nicht verlassen, wenn keine Gefahr damit verbunden ist?«
Er gestand sich ein, dass er förmlich auf die Antwort lauerte. Der Techniker musste einen Grund haben, wenn er sich so offen dafür aussprach, den Abflug hinauszuzögern.
»Ich habe gehört, dass morgen früh die Verhandlung gegen Perg Ivory stattfinden soll ...«, sagte Cleton.
»Das ist richtig. Was hat das eine mit dem anderen denn zu tun?«
»Nun, es steht zu erwarten, dass Perg der Meuterei für schuldig befunden und zur Verbannung auf einen Planeten verurteilt wird. Solange sich die SOL im Orbit befindet, kann das Urteil sofort vollstreckt werden. Andernfalls müsste zunächst eine aufwendige Suche nach einer anderen geeigneten Welt gestartet werden. Deshalb bin ich dafür, mit dem Weiterflug noch zu warten. Wir schlagen dabei zwei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen können die Arbeiten durch meine Leute ohne Zeitverlust und Unterbrechung durchgeführt werden, zum anderen kann Perg Ivory das Schiff sofort verlassen.«
Diese nüchterne Betrachtungsweise erschreckte Gavro ein wenig. Zwar war er selbst es gewesen, der das Strafmaß für Meuterei festgelegt hatte, doch forderte die gefühllose Argumentation des Technikers automatisch seinen
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