Atlantis
Junge ging zur Ecke - seine Kumpels warteten auf der anderen Straßenseite auf ihn -, wirbelte dann herum, formte mit dem Finger eine Pistole und richtete sie auf Bobby. Bobby grinste und zielte zurück.
»Vaya con Dios, mi amigo loco«, sagte Dee und schlenderte dann über die Straße, den Kragen seiner Bandenjacke im Nacken hochgeklappt.
Bobby wandte sich in die andere Richtung und setzte sich wieder in Bewegung. Er wich den Lichtpfützen aus, die von summenden Neonreklamen geworfen wurden, und bemühte sich, im Schatten zu bleiben.
Gegenüber vom Corner Pocket befand sich eine Leichenhalle - BESTATTUNGSUNTERNEHMEN DESPEGNI stand auf der grünen Markise. Im Fenster hing eine Uhr, deren Zifferblatt von einem kalten Kreis aus blauem Neon umrahmt war. Unter der Uhr war ein Schild mit der Aufschrift DAS RAD DER ZEIT HÄLT NIEMAND AUF. Auf der Uhr war es zwanzig nach acht. Bobby hatte immer noch Zeit, jede Menge Zeit, und er sah eine Gasse neben dem Pocket, wo er einigermaßen ungefährdet warten konnte, aber er war außerstande, sich einfach irgendwo hinzupflanzen und abzuwarten, obwohl er wusste, dass es das klügste wäre. Wenn er wirklich klug gewesen wäre, hätte er sich erst gar
nicht hierhergewagt. Er war keine weise alte Eule; er war ein verängstigter Junge, der Hilfe brauchte. Er bezweifelte, dass er die im Corner Pocket finden würde, aber vielleicht irrte er sich ja.
Bobby ging unter dem Transparent mit der Aufschrift KOMMEN SIE REIN, HIER IST ES KÜHL hindurch. Noch nie in seinem Leben hatte er weniger Wert auf eine Klimaanlage gelegt als jetzt; es war eine heiße Nacht, aber er fror am ganzen Leib.
Gott, wenn es Dich gibt, dann hilf mir jetzt bitte. Hilf mir, tapfer zu sein … und hilf mir, Glück zu haben.
Bobby machte die Tür auf und ging hinein.
Der Bierdunst war viel stärker und viel frischer, der Raum mit den Flipperautomaten schepperte und blinkte, voll von Lichtern und Lärm. Wo vorher nur Dee geflippert hatte, schienen jetzt wenigstens zwei Dutzend junge Burschen herumzustehen, die allesamt rauchten, allesamt schulterfreie Unterhemden und Frank-Sinatra-Hüte trugen und allesamt Budweiser-Flaschen auf den Glasflächen der Gottlieb-Geräte stehen hatten.
Um Len Files’ Kassentresen herum war es heller als beim letzten Mal, weil an der Bar (wo jeder Hocker besetzt war) und im Flipper-Raum mehr Lichter brannten. Der Billardsaal selbst, der am Mittwoch weitgehend im Dunkeln gelegen hatte, war jetzt erleuchtet wie ein Operationssaal. Alle Tische waren belegt; Männer beugten sich über den Filz, gingen um die Tische herum und führten in einem blauen Nebel aus Zigarettenrauch ihre Stöße aus; die Stühle an den Wänden waren alle besetzt. Bobby sah den alten Gee mit den Füßen auf den Schuhputzerpodesten, und …
»Verdammte Scheiße, was hast du hier zu suchen?«
Bobby drehte sich um, überrascht von der Stimme und schockiert vom Klang dieses Wortes, das da aus dem Mund einer Frau kam. Es war Alanna Files. Die Tür zum Wohnzimmerbereich jenseits des Kassentresens fiel gerade hinter ihr zu. An diesem Abend trug sie eine weiße Seidenbluse, die den Blick auf ihre Schultern - hübsche Schultern, cremig-weiß und rund wie Brüste - und den Ansatz ihres enormen Busens freigab. Unter der weißen Bluse befand sich die größte rote Hose, die Bobby je gesehen hatte. Am Mittwoch war Alanna nett gewesen, da hatte sie ihn angelächelt …ja, sogar beinahe angelacht, aber auf eine Weise, die Bobby nicht gestört hatte. Heute Abend sah sie aus, als hätte sie Todesangst.
»Tut mir leid … ich weiß, dass ich nicht hier drin sein darf, aber ich muss meinen Freund Ted finden, und ich dachte … dachte, dass …« Er hörte seine Stimme schrumpfen wie einen Luftballon, der losgelassen wurde und nun im Zimmer herumfliegt.
Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Es war wie in einem Traum, den er manchmal hatte, in dem er an seinem Pult saß und Rechtschreibung übte, irgendwelchen Stoff büffelte oder einfach nur eine Geschichte las und alle über ihn zu lachen begannen, bis er merkte, dass er vergessen hatte, die Hose anzuziehen, bevor er zur Schule gekommen war - er saß an seinem Pult, und alles baumelte heraus, sodass jeder es sehen konnte, die Mädchen, die Lehrer, einfach jeder.
Das rhythmische Gebimmel der Flipper im Spielautomatenraum hatte nicht ganz aufgehört, aber es war langsamer geworden. Die vom Tresen herüberschwappende Flut aus
Gesprächen und Gelächter war fast
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