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Atlantis

Titel: Atlantis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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noch vor den Thanksgiving-Ferien Stapler sein. Chamberlain, King und Franklin Hall lagen auf einer Anhöhe. Der Palast in der Prärie ebenfalls. Um dorthin zu gelangen, nahmen die Studenten asphaltierte Pfade, die in eine Senke - eine Art lang gezogene Furche - hinabführten und sich dann zu einem breiten Ziegelsteinweg vereinigten, der wieder anstieg. Das Holyoke war das größte der vier Gebäude, und es leuchtete im Halbdunkel wie ein Kreuzfahrtschiff auf dem Meer.
    Die Senke, wo die asphaltierten Pfade sich trafen, hieß Bennett’s Run - falls ich je gewusst habe, weshalb, so habe ich es längst vergessen. Auf zweien dieser Pfade kamen die Jungen von King und Chamberlain, auf dem dritten die Mädchen von Franklin. Wo die Pfade sich trafen, trafen sich auch die Jungen und Mädchen; sie unterhielten sich, lachten und wechselten offene und auch schüchterne Blicke. Von dort aus gingen sie auf dem breiten Ziegelsteinweg, der Bennett’s Walk genannt wurde, zum Gemeinschaftsgebäude.

    Stokely Jones III. kam uns entgegen. Mit gesenktem Kopf und der üblichen verschlossenen Miene auf dem blassen, harten Gesicht schlug er eine Schneise durch die Menge. Er war hochgewachsen, aber das bemerkte man kaum, weil er immer über seine Krücken gebeugt war. Seine pechschwarzen, glänzenden Haare, in denen nicht eine einzige hellere Strähne aufschimmerte, fielen ihm in stacheligen Fransen in die Stirn und verbargen seine Ohren, und ein paar verirrte Strähnen zeichneten diagonale Tintenstriche auf seine blassen Wangen.
    Das war die Blütezeit der Pilzkopffrisur, was für die meisten Jungen nicht mehr bedeutete, als dass sie sich die Haare sorgfältig nach vorn statt nach hinten kämmten und auf diese Weise die Stirn (und meist auch eine ganze Menge Pickel) verbargen. Stoke Jones’ Haartracht war nicht so brav. Seine mittellangen Haare fielen, wohin sie wollten. Sein gekrümmter Rücken würde bald zu einem Buckel werden, wenn er nicht bereits einer war. Er hielt die Augen meistens gesenkt, und sein Blick schien die Bogen zu verfolgen, die seine Krücken beschrieben. Wenn diese Augen zufällig aufschauten und einen anblickten, konnte es durchaus sein, dass man von ihrer wilden Intelligenz überrascht war. Er war ein Heathcliff aus Neuengland, allerdings von den Hüften abwärts zu einem dürren Gerippe verkümmert. Wenn er den Unterricht besuchte, waren seine Beine für gewöhnlich von gewaltigen Metallstützen umhüllt; er konnte sie bewegen, aber nur schwach, wie ein sterbender Tintenfisch seine Tentakel. Im Vergleich dazu war sein Oberkörper muskulös. Die Kombination wirkte bizarr. Stoke Jones war wie aus einer Werbeanzeige für die Bodybuilding-Methode von Charles Atlas entsprungen, eine Figur, bei der
VORHER und NACHHER irgendwie in einem Körper verschmolzen waren. Bei den Mahlzeiten war er immer der Erste im Holyoke, und schon drei Wochen nach Beginn unseres ersten Semesters wussten wir alle, dass er sich nicht beeilte, weil er behindert war, sondern weil er allein sein wollte, wie Greta Garbo.
    »Hol ihn der Teufel«, sagte Ronnie Malenfant eines Tages, als wir auf dem Weg zum Frühstück waren - er hatte Jones gerade mit einem »Hallo« begrüßt, aber der war bloß auf seinen Krücken vorbeigehumpelt, ohne auch nur zu nicken. Er hatte noch irgendwas vor sich hingemurmelt; wir alle hatten es gehört. »Verkrüppelter Hüpfarsch.« Das war Ronnie, wie immer das Mitgefühl in Person. Ich glaube, sein Takt, sein Charme und seine joie de vivre rührten daher, dass er inmitten all der voll gekotzten Bierschwemmen auf der unteren Lisbon Street in Lewiston aufgewachsen war.
    »Na, Stoke, wie sieht’s aus?«, fragte Skip an diesem Abend, als Jones mit seinen Krücken auf uns zugeeilt kam. Ganz gleich, wohin Stoke ging, er stürzte sich immer auf die gleiche kontrollierte Weise auf seine Krücken, den athletischen Bluto-Blutarsky-Oberkörper vorgebeugt, sodass er wie die Galionsfigur eines Schiffes aussah, Stoke, der fortwährend »Du kannst mich mal« zu dem sagte, was seinen Unterkörper ruiniert hatte, der diesem Etwas fortwährend den Stinkefinger zeigte, Stoke, der einen mit seinen klugen, wilden Augen anblickte und damit sagte: »Du kannst mich auch mal, schieb’s dir in den Arsch, setz dich drauf und dreh dich im Kreis, leck mich am Arsch, bis es dir wieder rauskommt.«
    Er antwortete nicht, hob jedoch für einen Moment den Kopf und sah Skip in die Augen. Dann ließ er das Kinn sinken
und eilte weiter, an uns vorbei.

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