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Atlantis

Titel: Atlantis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Familie. Selbst wenn ihre Hoffnungen und Enttäuschungen ihr beinahe den Verstand raubten, war sie Realistin. Sie würde eine Zeit lang untröstlich sein, dass ich es an der Uni nicht geschafft hatte, und ich würde eine Zeit lang heftige Schuldgefühle haben, aber wir würden beide drüber wegkommen. Ich wollte schließlich Schriftsteller werden, kein verdammter Englischlehrer, und ich bildete mir ein, dass nur blasierte Schriftsteller eine College-Ausbildung brauchten, um ihre Arbeit zu machen.
    Andererseits wollte ich das College aber auch nicht hinschmeißen. Das schien mir ein schlechter Start in mein Erwachsenenleben zu sein. Es roch nach Versagen, und meine ganzen whitmanesken Grübeleien über Volksnähe und Bodenständigkeit eines Schriftstellers rochen nach einer Rationalisierung dieses Versagens. Und dennoch lockte mich der Aufenthaltsraum im zweiten Stock - das Schnalzen der Karten, jemand, der fragte, ob diesmal im Uhrzeigersinn oder gegen den Uhrzeigersinn geschoben werde, jemand anders, der sich erkundigte, wer die Schwuchtel habe (ein Hearts-Spiel beginnt damit, dass die Kreuz-Zwei ausgespielt wird, eine Karte, die bei uns Süchtigen vom zweiten Stock »die Schwuchtel« hieß). Ich träumte davon, wie Ronnie Malenfant, das erste waschechte Arschloch, das ich kennengelernt hatte, seit ich den Piesackern der Junior High entronnen war, ein Pik nach dem anderen ausspielte und dabei mit seiner hohen, durchdringenden Stimme schrie: »Auf geht’s zur Schlampenjagd! Wir jagen die Fotze!« Wir
wissen fast immer, was für uns am besten ist, glaube ich, aber manchmal zählt das, was wir wissen, sehr wenig im Vergleich zu dem, was wir empfinden. Hart, aber wahr.

4
    Mein Zimmergenosse spielte kein Hearts. Mein Zimmergenosse hielt nichts von dem unerklärten Krieg in Vietnam. Mein Zimmergenosse schrieb seiner Freundin nach Hause, einer Oberstufenschülerin an der Wisdom Consolidated High School. Jeden Tag. Wenn man ein Glas Wasser neben Nate Hoppenstand gestellt hätte, wäre einem das Wasser geradezu lebhaft erschienen.
    Er und ich wohnten in Zimmer 302, gleich beim Treppenhaus und gegenüber von den Räumen des Etagenaufsehers (der Höhle des grässlichen Dearie). Der Aufenthaltsraum mit seinen Kartentischen, Stehaschenbechern und dem Blick auf den Palast in der Prärie lag ganz am anderen Ende des Flurs. Unsere Paarung legte - jedenfalls für mich - den Gedanken nahe, dass selbst die makabersten Fantasien über die Zimmervergabe der Universität durchaus wahr sein konnten. Auf dem Fragebogen, den ich im April’66 (als mein größtes Problem in der Entscheidung bestand, in welches Lokal ich Annmarie Soucie nach dem Oberstufenball zum Essen einladen sollte) an die Zimmervermittlung zurückgeschickt hatte, hatte ich erklärt, ich sei A. Raucher, B. ein junger Republikaner, C. ein aufstrebender Folk-Gitarrist, D. eine Nachteule. In ihrer zweifelhaften Weisheit hatte mich die Zimmervermittlung mit Nate zusammengesteckt, einem nichtrauchenden angehenden Zahnarzt, dessen
Eltern Demokraten aus dem County Aroostook waren (dass Lyndon Johnson Demokrat war, stimmte Nate kein bisschen milder, was die amerikanischen Soldaten in Südvietnam anging). Ich hatte ein Poster von Humphrey Bogart über meinem Bett; über dem von Nate hingen Fotos von seinem Hund und seiner Freundin. Das Mädchen war ein blasses Geschöpf, das die Uniform einer Majorette der Wisdom High trug und ein Tambourstöckchen umklammerte, als ob es ein Knüppel wäre. Sie hieß Cindy. Der Hund hieß Rinty. Das Mädchen und der Hund trugen das gleiche Grinsen zur Schau. Es war echt grotesk.
    In Skips und meinen Augen waren Nates schlimmster Fehler die sorgfältig in alphabetischer Reihenfolge sortierten Platten, die er unter Cindy und Rinty und direkt über seinem flotten kleinen RCA-Swingline-Plattenspieler im Regal stehen hatte. Er besaß drei Mitch-Miller-Platten (Sing Along with Mitch, More Sing Along with Mitch, Mitch and the Gang Sing John Henry and Other American Folk Favorites), Meet Trini Lopez , eine Dean-Martin-LP (Dino Swings Vegas!) , eine LP von Gerry and the Pacemakers, das erste Album der Dave Clark Five - vielleicht die lärmigste schlechte Rockplatte aller Zeiten - und noch viele andere vom gleichen Kaliber. Ich erinnere mich nicht mehr an alle. Ist wahrscheinlich auch gut so.
    »Nate, nein«, sagte Skip eines Abends. »Oh, bitte nicht.« Das war kurz vor dem Ausbruch der Hearts-Manie - vielleicht nur ein paar Tage vorher.
    »Oh, bitte was

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