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Atlantis

Titel: Atlantis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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vor Lachen. Ihre Wangen waren knallrot. Was auf dem Förderband daherkam, war Skips Werk. Er gab es später an diesem Abend zu, aber ich wusste es sofort. Obwohl er am Lehrerseminar war und wahrscheinlich als Geschichtslehrer und Baseballtrainer an der guten alten Dexter Highschool arbeiten würde, bis er mit neunundfünfzig
oder so vom Saufen einen Herzinfarkt bekam und tot umfiel, hätte Skip von Rechts wegen eigentlich bei den Künstlern sein müssen … und wäre wahrscheinlich auch dort gewesen, wenn nicht fünf Generationen seiner Familie Farmer gewesen wären, die ayuh und ’tüllich und se küsst’n Schwein, aba mit’nem Lächeln auf’n Lippen sagten. Er war erst der zweite oder dritte in dieser weitläufigen Familie (ihre Religion, sagte Skip mal, sei irisch-alkoholisch), der jemals aufs College gegangen war. Der Kirk-Clan konnte sich einen Lehrer in der Familie vorstellen, wenn auch nur knapp, einen Maler oder Bildhauer aber nicht. Und mit achtzehn war Skip auch nicht weitsichtiger als seine Familie. Er wusste nur, dass er nicht ganz in das Loch passte, in das er zu schlüpfen versuchte, und das machte ihn unruhig. Es führte dazu, dass er in die Zimmer anderer Leute ging, sich die LPs ansah und fast jedermanns musikalischen Geschmack kritisierte.
    1969 wusste er schon genauer, wer und was er war. In diesem Jahr konstruierte er ein vietnamesisches Familientableau aus Pappmaché, das am Ende der Friedensdemonstration vor der Fogler Library in Brand gesetzt wurde, während die Youngbloods mit geliehenen Verstärkern »Get Together« spielten und Teilzeithippies zu dem Rhythmus herumturnten wie Stammeskrieger nach einer Jagd. Sehen Sie, was für ein Durcheinander das in meinem Kopf alles ist? Es war Atlantis, das ist das Einzige, was ich mit Sicherheit weiß, way down below the ocean . Die Pappfamilie brannte, die Hippiedemonstranten intonierten beim Tanzen »Napalm! Napalm! Dreck vom Himmel!«, und nach einer Weile begannen die Sportler und die Verbindungsstudenten, mit Sachen zu werfen. Zuerst mit Eiern. Dann mit Steinen.

    Es war jedoch keine Pappmaché-Familie, die Carol an diesem Abend im Herbst des Jahres 1966 so zum Lachen brachte, dass sie von der Spüle wegtaumelte, sondern ein geiler Hotdog-Mann, der auf einem Matterhorn aus gebackenen Bohnen aus dem Holyoke Commons stand. Ein dünnes, kleines Wiener Würstchen ragte neckisch aus der entsprechenden Stelle hervor. In der Hand hielt er einen kleinen Wimpel der University of Maine, und auf dem Kopf trug er einen blauen Taschentuchfetzen, der so gefaltet war, dass er wie eine Freshman-Kappe aussah. Vorn auf dem Tablett stand in sorgfältig ausgelegten Buchstaben aus Maisbrotbröckchen: ESST MEHR BOHNEN AUS MAINE!
    Im Laufe meiner Arbeit im Küchenteam ist eine Menge essbare Kunst auf dem Förderband dahergekommen, aber ich glaube, das war der absolute Knaller. Stoke Jones hätte es zweifellos als Zeitverschwendung bezeichnet, aber ich glaube, in diesem Fall hätte er sich geirrt. Wenn etwas die Macht hat, einen noch nach dreißig Jahren zum Lachen zu bringen, dann ist das keine Zeitverschwendung. Ich glaube, so etwas grenzt schon an Unsterblichkeit.

10
    Um halb sieben stempelte ich meine Karte, ging mit einem letzten Abfallbeutel die Rampe hinter der Küche hinunter und warf ihn in einen der vier Müllcontainer, die wie stupsnasige Güterwaggons hinter dem Commons aufgereiht waren.
    Als ich mich umdrehte, sah ich Carol Gerber und zwei andere an der Ecke des Gebäudes stehen. Sie rauchten und betrachteten den aufgehenden Mond. Die anderen beiden
brachen gerade auf, als ich hinüberging und meine Pall Malls aus der Jackentasche zog.
    »He, Pete, iss mehr Bohnen aus Maine«, sagte Carol und lachte.
    »Ja.« Ich zündete meine Zigarette an. Dann sagte ich, ohne groß zu überlegen: »Im Hauck laufen heute Abend zwei Bogart-Filme. Um sieben geht’s los. Wir haben noch Zeit, um zu Fuß rüberzugehen. Hast du Lust?«
    Sie rauchte und gab mir einen Moment lang keine Antwort, lächelte jedoch immer noch, und ich wusste, dass sie Ja sagen würde. Noch gar nicht so lange vorher hatte ich nur in den Aufenthaltsraum im zweiten Stock zurückgewollt, um Hearts zu spielen. Jetzt, wo ich eine Weile von dort weg war, schien das Spiel jedoch erheblich weniger wichtig zu sein. War ich wirklich so wütend gewesen, dass ich Ronnie Malenfant gedroht hatte, ihn windelweich zu prügeln? Offenbar ja - die Erinnerung war deutlich genug -, doch als ich mit Carol hier draußen

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