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Atlantis

Titel: Atlantis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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lächeln? Hatte ich nicht neun Dollar in der Tasche, die ich heute früh noch nicht gehabt hatte? Nach den Maßstäben von Chamberlain Zwei war ich reich.

    Jones sah mich mit seinen dunklen Augen an. Sein Mund wurde schmal, aber gleich darauf nickte er. »Okay. Kapiert. Danke.« Dann eilte er in halsbrecherischem Tempo die Anhöhe hinauf. Zuerst war er mir ein gutes Stück voraus, aber dann machte ihm die Steigung allmählich zu schaffen, und er wurde langsamer. Sein verrotzter Atem wurde lauter und schneller. Ich hörte ihn deutlich, als ich ihn einholte.
    »Warum lässt du’s nicht ruhiger angehen?«, fragte ich.
    Er warf mir einen ungeduldigen Bist-du-immer-noch-da-Blick zu. »Warum rutschst du mir nicht den Buckel runter?«
    Ich zeigte auf sein Soziologiebuch. » Das rutscht schon wieder.«
    Er blieb stehen, schob das Buch unter dem Arm zurecht, stützte sich dann wieder auf seine Krücken, vornübergebeugt wie ein schlecht gelaunter Reiher, und funkelte mich durch seine schwarzen Strähnen hindurch an. »Geh schon«, sagte er. »Ich brauch keinen Aufpasser.«
    Ich zuckte die Achseln. »Ich wollte nicht den Babysitter spielen, sondern nur ein bisschen Gesellschaft haben.«
    »Ich nicht.«
    Ich machte mich wieder auf den Weg. Trotz meiner neun Scheine ärgerte ich mich. Wir Klassenclowns sind nicht scharf darauf, Freunde zu gewinnen - zwei oder drei reichen uns meistens fürs ganze Leben -, aber wir reagieren auch nicht sehr gut auf Zurückweisung. Wir sind darauf aus, eine große Zahl von Bekannten zu haben, die wir zum Lachen bringen können.
    »Riley«, sagte er hinter mir.
    Ich drehte mich um. Er hatte beschlossen, doch noch ein bisschen aufzutauen, dachte ich. Wie sehr ich mich irrte.

    »Es gibt solche Gesten und solche«, sagte er. »Dem Aufseher Rasiercreme an die Tür zu sprühen ist nicht viel besser, als der kleinen Susie Popel auf den Stuhl zu schmieren, weil man nicht weiß, wie man ihr sonst sagen soll, dass man sie liebt.«
    » Ich hab Dearies Tür nicht mit Rasiercreme eingeschmiert«, sagte ich noch verärgerter als zuvor.
    »Ja, aber du spielst Karten mit dem Arsch, der’s getan hat. Verleihst ihm Glaubwürdigkeit.« Ich glaube, das war das erste Mal, dass ich dieses Wort hörte, das später in den Siebzigern und den colagetränkten Achtzigern eine unglaublich miese Karriere machen sollte. Hauptsächlich in der Politik. Ich denke, die Glaubwürdigkeit starb so um 1986 herum vor Scham, als die ganzen Antikriegsdemonstranten und furchtlosen Rassengleichheitskämpfer der Sechzigerjahre Junk Bonds, Schöner Wohnen und den StairMaster entdeckten. »Warum verschwendest du deine Zeit?«
    Das war so direkt, dass es mich durcheinanderbrachte, und was ich darauf erwiderte, kommt mir jetzt im Rückblick unglaublich dumm vor. »Ich hab jede Menge Zeit zu verschwenden.«
    Jones nickte, als hätte er nicht mehr und nichts Besseres erwartet. Er setzte sich wieder in Bewegung und humpelte in seiner üblichen Eile mit gesenktem Kopf und gekrümmtem Rücken an mir vorbei. Seine verschwitzten Haare schwangen hin und her, und er hatte das Soziologiebuch fest unter den Arm geklemmt. Ich wartete, weil ich damit rechnete, dass es wieder herunterfallen würde. Diesmal würde ich ihn mit seiner Krücke dran rumstupsen lassen.

    Aber er behielt es unter dem Arm, und nachdem ich gesehen hatte, wie er den Eingang des Holyoke erreichte, mit der Tür rang und schließlich hineintaumelte, ging ich meines eigenen Weges. Ich füllte mein Tablett mit Essen und setzte mich zu Carol Gerber und den anderen Küchenhilfen. Wir saßen so weit von Stoke Jones entfernt, wie es nur ging, und das war mir auch durchaus recht. Ich erinnere mich, dass er ebenfalls abseits von den anderen Behinderten saß. Stoke Jones saß abseits von allen. Clint Eastwood auf Krücken.

9
    Die regulären Esser erschienen ab fünf. Um Viertel nach war der Spültrupp wie wild bei der Arbeit und blieb etwa eine Stunde lang voll eingespannt. Viele Studenten aus den Wohnheimen fuhren am Wochenende nach Hause, aber alle, die blieben, tauchten am Samstagabend auf, weil es da Bohnen, Würstchen und Maisbrot gab. Und Götterspeise zum Nachtisch. Im Palast in der Prärie gab es fast immer Götterspeise zum Nachtisch. Wenn die Köchin ihre verspielte Phase hatte, bekam man vielleicht Götterspeise mit kleinen Obststückchen drin.
    Carol spülte das Besteck, und gerade als der Andrang allmählich nachließ, drehte sie sich von der Durchreiche weg und schüttelte sich

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