Atlantis
anblickte, sah ich Carol an. Sie sah mich an. Ich beugte mich hinunter und küsste sie im schwarz-weißen Mondschein von John Hustons genialem Erstling auf den vom Popcorn gebutterten Mund. Ihre Lippen waren süß und willig. Ich wich ein bisschen zurück. Sie sah mich immer noch an. Das leise Lächeln war wieder da. Dann hielt sie mir ihre Popcorn-Tüte hin, ich revanchierte mich mit meiner Schachtel Weingummi, und wir schauten uns den Rest des Films an.
11
Auf dem Rückweg zum Chamberlain-King-Franklin-Wohnheimkomplex nahm ich, fast ohne nachzudenken, ihre Hand. Sie verschränkte die Finger ganz selbstverständlich mit meinen, aber ich glaubte, jetzt eine Reserviertheit zu spüren.
»Gehst du wieder zurück und siehst dir Die Caine war ihr Schicksal an?«, fragte sie. »Das könntest du, wenn du deinen Kartenabschnitt noch hast. Sonst geb ich dir meinen.«
»Nee, ich muss Geologie lernen.«
»Wetten, dass du stattdessen die ganze Nacht Karten spielst?«
»Kann ich mir nicht leisten«, sagte ich. Das war mein Ernst; ich wollte wirklich zurück aufs Zimmer und lernen. Ganz ehrlich.
»Einsame Kämpfe oder Das Leben eines Stipendiaten«, sagte Carol. »Ein herzzerreißender Roman von Charles Dickens. Sie werden Tränen weinen, wenn der tapfere Peter Riley in den Fluss springt, nachdem er festgestellt hat, dass das Amt für Studienbeihilfen sein Stipendienpaket widerrufen hat.«
Ich lachte. Sie war ganz schön auf Draht.
»Ich sitze im selben Boot, weißt du. Wenn wir Mist bauen, können wir vielleicht einen Doppelselbstmord begehen. Ab in den Penobscot mit uns. Adieu, grausame Welt.«
»Was hat ein Mädchen aus Connecticut überhaupt an der University of Maine zu suchen?«, fragte ich.
»Das ist ein bisschen kompliziert. Und wenn du vorhast, mich irgendwann noch mal einzuladen, solltest du wissen, dass du im Begriff bist, dich an einem Baby zu vergreifen.
Ich werde erst im November achtzehn. Ich hab die siebte Klasse übersprungen. In dem Jahr haben meine Eltern sich scheiden lassen, und mir ging’s hundeelend. Ich stand vor der Wahl, ununterbrochen zu lernen oder eins der Mädchen von der Harwich Junior High zu werden, die an den Straßenecken rumhängen. Das sind diejenigen, die als Hauptfach Zungenküssen haben und meistens mit sechzehn schwanger werden. Weißt du, welche ich meine?«
»Klar.« In Gates sah man sie in kichernden kleinen Gruppen vor Frank’s Fountain oder dem Dairy Delish auf die Jungen warten, die mit ihren tiefergelegten Fords und aufgemotzten Plymouths vorbeikamen, schnellen Wagen mit Radlaufverkleidungen und Aufklebern der Ölfilterfirma FRAM und von QUAKER STATE-Motoröl an der Heckscheibe. Am anderen Ende der Main Street konnte man diese Mädchen als Frauen sehen, zehn Jahre älter und vierzig Pfund schwerer, in Chucky’s Tavern, wo sie Bier und Schnaps tranken.
»Ich bin eine richtige Streberin geworden. Mein Vater war bei der Navy. Sie haben ihn wegen Dienstuntauglichkeit entlassen, und er ist hierher nach Maine gezogen nach Damariscotta, an der Küste.«
Ich nickte und dachte an Diane Renays steady boy , der »Schiff ahoi« sagte und in die Nay-yay-vee eintrat.
»Ich hab bei meiner Mutter in Connecticut gelebt und bin auf die Harwich High gegangen. Ich hab mich bei sechzehn verschiedenen Colleges beworben und bin von allen bis auf drei angenommen worden, aber …«
»Aber sie sind davon ausgegangen, dass du dein Studium selbst bezahlen würdest, und das konntest du nicht.«
Sie nickte. »Ich glaube, ich hab die Superstipendien beim SAT-Zulassungstest um vielleicht zwanzig Punkte verpasst. Ein oder zwei außerlehrplanmäßige Aktivitäten hätten wahrscheinlich auch nichts geschadet, aber ich war zu sehr mit Büffeln beschäftigt. Außerdem war ich damals ziemlich in Sully-John verknallt …«
»Der Freund, stimmt’s?«
Sie nickte, aber nicht so, als ob dieser Sully-John sie interessieren würde. »Die einzigen beiden, die realistische Finanzierungspakete anboten, waren die Universitäten von Maine und Connecticut. Ich hab mich für Maine entschieden, weil ich mittlerweile nicht mehr sehr gut mit meiner Mutter zurechtkam. Es gab ständig Streit.«
»Kommst du mit deinem Vater besser klar?«
»Ich seh ihn kaum«, sagte sie in einem trockenen, sachlichen Ton. »Er lebt mit einer Frau zusammen, die … na ja, sie trinken viel und streiten sich viel, belassen wir’s dabei. Aber er ist ein Bürger dieses Staates, ich bin seine Tochter, und das College hier wird mit
Weitere Kostenlose Bücher