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Atlantis

Titel: Atlantis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Er drehte sich um, warf sein ungeöffnetes Getränk in den Sand eines Aschenbechers, der in der Nähe stand, und ging mit den Fäusten auf den anderen los. Er zerbrach dem Jungen die Brille und lockerte ihm einen Zahn. So kam es, dass Brad Witherspoon, der normalerweise so gefährlich war wie ein Vervielfältigungsapparat in der Bücherei, als Erster von uns mit einer disziplinarischen Bewährungsstrafe belegt wurde.

    Ich dachte daran, Annmarie anzurufen und ihr zu erklären, dass ich eine andere kennengelernt hätte, mit der ich jetzt ginge, aber das schien mir zu allem anderen eine Menge Arbeit und eine ziemliche seelische Anstrengung zu sein. Ich beließ es bei der Hoffnung, sie würde mir einen Brief schreiben, in dem stand, ihrer Meinung nach sei es an der Zeit, dass wir anfingen, uns mit anderen Leuten zu treffen. Stattdessen bekam ich einen, in dem stand, wie sehr sie mich vermisse und dass sie mir »etwas Besonderes« zu Weihnachten mache. Wahrscheinlich meinte sie einen Norweger-Pullover. Norweger waren eine Spezialität von Annmarie (ihre Art, mir mit langsamen, streichelnden Handbewegungen einen runterzuholen, war eine andere). Sie legte ein Foto bei, das sie in einem kurzen Rock zeigte. Das Foto machte mich nicht geil, sondern müde, und ich fühlte mich schuldig und überfordert. Von Carol fühlte ich mich auch überfordert. Ich hatte ein bisschen rummachen wollen, das war alles; ich wollte nicht gleich mein ganzes verdammtes Leben ändern. Ebenso wenig wie ihres, was das betraf. Aber ich mochte sie, das stimmte. Sehr sogar. Ihr Lächeln und ihren scharfen Verstand. Das lässt sich gut an, hatte sie gesagt, wir tauschen wie wild Informationen aus.
    Etwa eine Woche später kam ich aus dem Holyoke zurück, wo ich mittags mit ihr im Spültrupp gearbeitet hatte, und sah Frank Stuart langsam durch den Flur im zweiten Stock gehen. Er trug seinen Schrankkoffer mit beiden Händen. Frank kam aus dem Westen von Maine, aus einem dieser kleinen, nicht eingemeindeten Städtchen, die praktisch nur aus Bäumen bestehen, und sein Yankee-Akzent zog einem die Schuhe aus. Er war ein ziemlich mittelmäßiger Hearts-Spieler, der meistens den zweiten oder einen knappen dritten
Platz belegte, wenn jemand die Hundert-Punkt-Marke überschritt, aber ein schrecklich netter Kerl. Er hatte stets ein Lächeln auf dem Gesicht … zumindest bis zu dem Nachmittag, als ich ihn mit seinem Koffer auf dem Weg zum Treppenhaus antraf.
    »Ziehst du in ein anderes Zimmer um, Frank?«, fragte ich, aber schon damals glaubte ich, es besser zu wissen - man sah es ihm am Gesicht an; es war ernst, blass und niedergedrückt.
    Er schüttelte den Kopf. »Fahr wieder nach Hause. Hab’nen Brief von meiner Ma gekriegt. Sie schreibt, sie brauchen jemand, der in einem der großen Urlaubsorte an den Seen drüben bei uns nach dem Rechten sieht. Klar, hab ich gesagt. Ich verschwende hier nur meine Zeit.«
    »Aber nein!«, rief ich, ein bisschen schockiert. »Meine Güte, Frankie, du kriegst hier eine College-Ausbildung!«
    »Nein, eben nicht, das ist es ja.« Der Flur war dunkel und voller Schatten; draußen regnete es. Trotzdem glaubte ich, zu sehen, dass sich Franks Wangen röteten. Ich glaube, er schämte sich. Deshalb hatte er wohl auch dafür gesorgt, dass er mitten an einem Wochentag abreiste, wenn das Wohnheim am leersten war. »Ich mach doch nichts anderes als Karten spielen. Und das auch nicht sehr gut. Außerdem bin ich in allen meinen Kursen im Rückstand.«
    »Du kannst doch noch gar nicht so weit im Rückstand sein! Wir haben erst den fünfundzwanzigsten Oktober!«
    Frank nickte. »Ich weiß. Aber ich bin nicht so schnell wie andere. War ich schon auf der Highschool nicht. Ich muss mich richtig reinknien und die Bücher durchackern; ich muss Löcher bohren wie mit einem Eisbohrer. Das hab ich nicht getan, und wenn du kein Loch ins Eis gekriegt
hast, kannst du keine Flussbarsche fangen. Ich gehe, Pete. Ich haue ab, bevor sie mich im Januar rausschmeißen.«
    Er ging weiter, stapfte mit seinem Schrankkoffer, den er an den Griffen vor sich hertrug, die erste der drei Treppen hinunter. Sein weißes T-Shirt schwebte im Halbdunkel; als er an einem Fenster vorbeikam, an dem der Regen herunterrann, schimmerte sein Bürstenschnitt wie Gold.
    Als er auf dem Treppenabsatz im ersten Stock ankam und seine Schritte rhythmisch zu hallen begannen, lief ich zum Treppenhaus und schaute hinunter. »Frankie! He, Frank!«
    Die Schritte verstummten. Im Schatten sah

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