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Atlantis

Titel: Atlantis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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zeigte und vor allem auch zum östlichen Anbau, wo die Großunternehmen ihre Vorstellungsgespräche durchführten.
    Sie gingen näher heran, verließen den Pfad und traten in den frischen Schnee - mittlerweile waren etwa zehn Zentimeter gefallen.

    »Schau«, sagte Becka und zeigte in den Schnee hinunter. Dort waren eigenartige Spuren zu sehen - keine Fußabdrücke, sondern beinahe so etwas wie Schleifspuren, dazu tief ausgestanzte Löcher, die in zwei punktierten Linien verliefen. Tom Huckabee meinte, sie erinnerten ihn an Spuren, die jemand mit Skiern an den Füßen und Skistöcken gemacht hatte. Keiner von ihnen kam auf die Idee, dass jemand, der auf Krücken ging, solche Spuren hinterlassen haben könnte. Damals noch nicht.
    Sie gingen näher an die Mauer des Wohnheims heran. Die Buchstaben waren groß und schwarz, aber inzwischen schneite es so stark, dass sie bis auf drei Meter herangehen mussten, ehe sie die Worte lesen konnten, die jemand mit einer Sprühdose angebracht hatte … jemand, dem offenbar die Galle übergelaufen war, dem chaotischen Aussehen der Botschaft nach zu urteilen. (Wieder dachte keiner von ihnen daran, dass jemand, der mit der Sprühdose eine Botschaft aufzutragen versuchte, während er gleichzeitig auf zwei Krücken die Balance halten musste, vielleicht nicht in der Lage war, seinen Text in Schönschrift zu hinterlassen.) Die Botschaft lautete:

32
    Ich habe gelesen, dass manche Verbrecher - vielleicht sogar sehr viele Verbrecher - im Grunde erwischt werden wollen. Ich denke, bei Stoke Jones war das der Fall. Was immer er an der University of Maine gesucht hatte, er fand es nicht. Er war, glaube ich, zu dem Schluss gekommen, dass es an der Zeit war, die Uni wieder zu verlassen … und wenn er schon ging, dann mit der großartigsten Geste, die einem Menschen auf Krücken möglich war.
    Tom Huckabee erzählte Dutzenden von Studenten, was an unsere Wohnheimwand gesprüht worden war; Becka Aubert tat das Gleiche. Unter anderem erzählte sie es auch der Etagenaufseherin im ersten Stock der Franklin, einem mageren, selbstgerechten Mädchen namens Marjorie Stuttenheimer. Marjorie sollte 1969 eine ziemlich bekannte Figur auf dem Campus werden, die Gründerin und Präsidentin der Christians for College America. Die CCA unterstützte den Krieg in Vietnam und verkaufte an ihrem Stand in der Memorial Union der Universität die kleinen Fahnen-Anstecknadeln, die Richard Nixon so populär machte.
    Ich hatte am Donnerstagmittag Dienst im Palast in der Prärie, und obwohl ich meine Kurse schwänzte, kam es mir überhaupt nicht in den Sinn, meinen Job zu schwänzen - das war nun mal nicht meine Art. Ich gab meinen Platz im Aufenthaltsraum an Tony DeLucca ab und ging gegen elf Uhr zum Holyoke hinüber, um meiner Spülpflicht Genüge zu tun. Unterwegs sah ich eine ziemlich große Gruppe von Studenten, die sich im Schnee versammelt hatten und etwas an der Nordwand meines Wohnheims anstarrten. Ich ging
hinüber, las die Botschaft und wusste sofort, wer sie da hingeschrieben hatte.
    Auf der Bennett Road standen eine blaue Limousine der University of Maine und einer der beiden Streifenwagen der Universitätspolizei in der Nähe des Pfades, der zum Seiteneingang der Chamberlain führte. Margie Stuttenheimer war dort, in einer kleinen Gruppe, die aus vier Campus-Cops, dem Dekan für männliche Studenten und Charles Ebersole bestand, dem Disziplinarbeamten der Universität.
    Die Menge war vielleicht fünfzig Personen stark, als ich mich hinten dazustellte; in den fünf Minuten, die ich dort stand und gaffte, schwoll sie auf fünfundsiebzig Personen an. Als ich um Viertel nach eins alles sauber gewischt und ausgeschaltet hatte und zur Chamberlain zurückging, waren wohl an die zweihundert Leute da, die in kleinen Trauben herumstanden und glotzten. Vermutlich ist es heutzutage schwer zu glauben, dass ein Graffito eine derartige Anziehungskraft haben konnte, besonders an einem solchen Schlechtwettertag, aber wir reden hier ja von einer ganz anderen Welt, einer, in der keine Zeitschrift in Amerika (außer Popular Photography , aber die auch nur selten) eine Nackte so nackt zeigte, dass man ihr Schamhaar sah, und in der keine Zeitung es wagte, sich auch nur andeutungsweise über das Geschlechtsleben irgendeiner Figur aus der Politik zu äußern. Das war, bevor Atlantis versank; das war vor langer Zeit und an einem fernen Ort, in einer Welt, in der mindestens ein Komiker ins Gefängnis wanderte, weil er in der

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