Atlantis
Kopf brauchte und das Sie ernähren und großziehen mussten.« Sie sah ihn mit leicht vorgestrecktem Kinn an, jenem Gesichtsausdruck, der bedeutete, dass sie bereit war, mit Ted darüber zu diskutieren. Dass sie mit ihm bei dieser Diskussion in den Clinch gehen würde, wenn er Lust dazu hatte.
Zu Bobbys Erleichterung wollte Ted jedoch nicht mit ihr in den Clinch gehen. Nicht einmal ansatzweise. »Ich glaube, Sie haben recht, Mrs. Garfield. Absolut.«
Sie reckte ihm noch einen Moment das Kinn entgegen, eine unausgesprochene Frage, ob er sich sicher sei, ließ ihm Zeit, seine Meinung zu ändern. Als Ted nichts weiter sagte, lächelte sie. Es war ihr Siegerlächeln. Bobby liebte sie, aber auf einmal war er ihrer auch überdrüssig. Er kannte ihre Gesichtsausdrücke, ihre Sprüche und ihre Unnachgiebigkeit zu Genüge, und er hatte sie satt.
»Danke für das Rootbeer, Mr. Brattigan. Sie hat sehr gut geschmeckt.« Und damit führte sie ihren Sohn nach unten. Als sie auf dem Treppenabsatz im ersten Stock anlangten, ließ sie seine Hand los und ging des Rest des Weges vor ihm her.
Bobby dachte, dass sie beim Abendessen weiter über seinen neuen Job reden würden, aber das war nicht der Fall. Seine Mutter schien weit von ihm entfernt zu sein, ihr Blick war abwesend. Er musste sie zweimal um eine zweite Scheibe vom Hackbraten bitten, und als später an diesem
Abend das Telefon klingelte, sprang sie vom Sofa auf, wo sie gemeinsam fernsahen, und lief zum Apparat. Sie legte dabei die gleiche Hast an den Tag wie Ricky Nelson in der Serie Ozzie and Harriet, wenn dort das Telefon klingelte. Sie hörte zu, sagte etwas, kam dann zum Sofa zurück und setzte sich wieder.
»Wer war das?«, fragte Bobby.
»Falsch verbunden«, sagte Liz.
In diesem Lebensjahr wartete Bobby Garfield noch mit dem seligen Vertrauen eines Kindes auf den Schlaf: auf dem Rücken liegend, die Fersen zu den Ecken des Bettes hin gespreizt, die Hände an den kühlen Stellen unter dem Kissen, sodass die Ellbogen hochstanden. Auch in der Nacht, nachdem Ted mit ihm über die niederen Männer in ihren gelben Mänteln gesprochen hatte (ihre Autos nicht zu vergessen, dachte er, ihre dicken, auffällig lackierten Autos), lag Bobby so da. Die Decke hatte er bis zur Hüfte hinuntergeschoben. Das Mondlicht fiel auf seine schmale Kinderbrust, vom Schatten des Fensterkreuzes in vier Rechtecke geteilt.
Wenn er darüber nachgedacht hätte (was er nicht getan hatte), dann hätte er erwartet, dass Teds niedere Männer realer werden würden, sobald er allein im Dunkeln war, wo ihm nur das Ticken seines aufziehbaren Big Ben und das Gemurmel der Fernseh-Spätnachrichten im anderen Zimmer Gesellschaft leisteten. So war das bei ihm schon immer gewesen - es war leicht, bei Shock Theater über Frankenstein zu lachen, so zu tun, als würde man sich unheimlich gruseln, und »Ohhh, Frankie! « zu schreien, sobald das Monster auftauchte, besonders wenn Sully-John über Nacht blieb. Aber im Dunkeln, wenn S-J zu schnarchen begonnen hatte
(oder noch schlimmer, wenn Bobby allein war), schien Dr. Frankensteins Geschöpf viel … nicht direkt realer, aber … möglicher zu sein.
Um Teds niedere Männer herum verdichtete sich dieses Gefühl des Möglichen jedoch nicht. Wenn überhaupt, dann schien der Gedanke, dass Leute miteinander über Anschläge kommunizieren sollten, auf denen entlaufene Tiere gesucht wurden, im Dunkeln noch verrückter zu sein. Aber nicht auf gefährliche Weise verrückt. Bobby glaubte jedenfalls nicht, dass Ted wirklich im tiefsten Innern verrückt war; nur ein bisschen schlauer, als ihm guttat, besonders seit er nur noch so wenig hatte, womit er seine Zeit ausfüllen konnte. Ted war ein bisschen … nun ja … Herrgott, ein bisschen was? Bobby konnte es nicht ausdrücken. Wenn ihm das Wort exzentrisch in den Sinn gekommen wäre, hätte er es mit Freuden und voller Erleichterung benutzt.
Aber … es kam mir so vor, als hätte er meine Gedanken gelesen. Was ist damit?
Ach, da hatte er sich geirrt, das war alles, er hatte sich einfach verhört. Oder vielleicht hatte Ted wirklich mit dieser von Grund auf uninteressanten außersinnlichen Wahrnehmung der Erwachsenen seine Gedanken gelesen und das Schuldbewusstsein von seinem Gesicht geschält wie ein nasses Abziehbild von einem Stück Glas. Seine Mutter war dazu weiß Gott jederzeit imstande zumindest bis heute.
Aber …
Aber nichts. Ted war ein netter Kerl, der eine Menge Ahnung von Büchern hatte, aber er war
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