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Atlantis

Titel: Atlantis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Engelchen war er, mein Kleiner, deshalb erinnere ich mich hauptsächlich an ihn; ein Engel mit roten Haaren ist ziemlich selten. Er hat nie einem Betrunkenen was zu trinken spendiert, da war er eisern, aber ansonsten hat er einem sein letztes Hemd gegeben. Man brauchte ihn bloß zu fragen.«
    »Aber er hat wohl auch eine Menge Geld verloren«, sagte Bobby. Er konnte nicht glauben, dass er dieses Gespräch führte - dass er jemanden getroffen hatte, der seinen Vater kannte. Aber vermutlich kam vieles auf diese Weise ans Licht, durch reinen Zufall. Man machte einfach, was man eben so tat, kümmerte sich um seine eigenen Angelegenheiten, und auf einmal gab einem die Vergangenheit einen Knuff.
    »Randy?« Sie machte ein überraschtes Gesicht. »Nee. Er ist vielleicht dreimal die Woche auf einen Drink reingekommen - weißt du, wenn er halt in der Gegend war. Er hat in Immobilien oder Versicherungen gemacht, oder er war im Verkauf oder irgend so was …«

    »Immobilien«, sagte Bobby. »Es waren Immobilien.«
    »… und hier unten gab’s ein Büro, wo er manchmal hin musste. Für Industriegebäude, schätze ich, wenn es Immobilien waren. Bist du dir sicher, dass es keine Arzneimittel waren?«
    »Nein, Immobilien.«
    »Komisch, wie die Erinnerung funktioniert«, sagte sie. »Manche Sachen bleiben klar, aber meistens geht die Zeit ins Land, und Grün wird zu Blau. Jedenfalls sind die ganzen Anzug-und-Krawatten-Firmen hier inzwischen eingegangen.« Sie schüttelte traurig den Kopf.
    Bobby interessierte sich nicht dafür, wie das Viertel kaputtgegangen war. »Aber wenn er gespielt hat, hat er verloren. Er hat immer versucht, aus Inside Straights was zu machen und solche Sachen.«
    »Hat deine Mutter dir das erzählt?«
    Bobby schwieg.
    Alanna zuckte die Achseln. Dabei passierten überall an ihrer Vorderseite interessante Sachen. »Tja, das geht nur euch beide was an … und he, vielleicht hat dein Dad seine Kohle ja anderswo rausgeworfen. Ich weiß nur, dass er ein-oder zweimal pro Monat mit Leuten hier gesessen hat, die er kannte, vielleicht bis Mitternacht gespielt hat und dann heimgefahren ist. Wenn er als großer Gewinner oder Verlierer gegangen wäre, würde ich mich wahrscheinlich dran erinnern. Tu ich aber nicht, deshalb hat er wohl an den meisten Abenden nicht viel mitgenommen und auch nicht viel hiergelassen. Was ihn übrigens zu einem ziemlich guten Pokerspieler macht. Besser als die meisten da hinten.« Sie verdrehte die Augen in die Richtung, in die Ted und ihr Bruder verschwunden waren.

    Bobby sah sie mit wachsender Verwirrung an. Dein Vater hat uns nicht gerade ein Vermögen hinterlassen, lautete ein Standardsatz seiner Mutter. Da war die erloschene Versicherungspolice, der Stapel unbezahlter Rechnungen; ich wusste so gut wie nichts, hatte seine Mutter erst in diesem Frühling gesagt, und Bobby dachte allmählich, dass das auch auf ihn passte: Ich wusste so gut wie nichts.
    »Er war so ein gut aussehender Bursche, dein Dad«, sagte Alanna, »trotz der Bob-Hope-Nase und so. Ich schätze, das steht auch bei dir zu erwarten - du schlägst nach ihm. Hast du eine Freundin?«
    »Ja, Ma’am.«
    Waren die unbezahlten Rechnungen eine Fiktion? Konnte das sein? War die Lebensversicherungssumme in Wahrheit kassiert und irgendwo deponiert worden, vielleicht auf einem Bankkonto statt zwischen den Seiten des Sears-Katalogs? Es war irgendwie ein schrecklicher Gedanke. Bobby konnte sich nicht vorstellen, warum seine Mutter ihn in dem Glauben wiegen sollte, sein Dad sei
    (ein niederer Mann, ein niederer Mann mit roten Haaren)
    ein schlechter Mensch, wenn das gar nicht stimmte, aber etwas an dem Gedanken fühlte sich … wahr an. Sie konnte wütend werden, das war der Punkt bei seiner Mutter. Sie konnte fuchsteufelswild werden. Und dann konnte sie sonst was sagen. Möglicherweise hatte sein Vater - den seine Mutter kein einziges Mal »Randy« genannt hatte, so lange Bobby zurückdenken konnte - zu vielen Leuten sein letztes Hemd gegeben, sodass Liz Garfield schließlich fuchsteufelswild geworden war. Liz Garfield gab überhaupt keine Hemden weg, und ihr letztes schon gar nicht. In dieser Welt
musste man seine Hemden behalten, weil das Leben nun mal nicht fair war.
    »Wie heißt sie?«
    »Liz.« Er war wie betäubt, so wie vorhin, als er aus dem dunklen Kino ins helle Tageslicht hinausgetreten war.
    »Wie Liz Taylor.« Alanna sah erfreut aus. »Das ist ein netter Name für eine Freundin.«
    Bobby lachte ein bisschen verlegen.

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