Atlantis
»Nein, meine Mutter heißt Liz. Meine Freundin heißt Carol.«
»Und? Hübsch?«
»Ein echt heißer Käfer«, sagte er, grinste und wackelte mit einer Hand hin und her. Zu seiner Freude lachte Alanna schallend. Sie langte über den Kassentresen - das Fleisch an ihrem Oberarm hing wie ein fantastischer Teigklumpen herab - und kniff ihn in die Wange. Es tat ein bisschen weh, aber es gefiel ihm.
»Du bist ja ein Süßer! Kann ich dir was sagen?«
»Klar. Was denn?«
»Nur weil ein Mann gern mal ein bisschen Karten spielt, ist er noch lange nicht Attila, der Hunne. Das weißt du doch, oder?«
Bobby nickte erst zögernd, dann entschlossener.
»Deine Ma ist deine Ma, ich will nichts gegen irgendeine Ma sagen, weil ich meine nämlich geliebt hab, aber nicht jede Ma findet Kartenspielen oder Poolbillard oder … Läden wie diesen gut. Das ist ein Standpunkt, aber mehr auch nicht. Verstehst du, was ich meine?«
»Ja«, sagte Bobby. Und das stimmte. Er verstand, was sie meinte. Er fühlte sich sehr seltsam, als müsste er lachen und weinen zugleich. Mein Dad war hier, dachte er. Das schien zumindest für den Augenblick viel wichtiger zu sein als irgendwelche
Lügen, die seine Mutter möglicherweise über ihn erzählt hatte. Mein Dad war hier, vielleicht hat er genau da gestanden, wo ich jetzt stehe. »Ich bin froh, dass ich ihm ähnlich sehe«, platzte er heraus.
Alanna nickte lächelnd. »Dass du hier einfach so von der Straße reinschneist, was meinst du, wie hoch stehen die Chancen?«
»Keine Ahnung. Aber danke, dass Sie mir von ihm erzählt haben. Vielen Dank.«
»Er hat diesen Song von Jo Stafford den ganzen Abend lang gespielt, wenn man ihn gelassen hat«, sagte Alanna. »Also, du bleibst jetzt schön hier stehen.«
»Ja, Ma’am.«
»Ja, Alanna.«
Bobby grinste. »Alanna.«
Sie warf ihm eine Kusshand zu, wie seine Mutter es manchmal tat, und lachte, als Bobby vorgab, den Kuss einzufangen. Dann verschwand sie wieder durch die Tür. Bobby sah eine Art Wohnzimmer dahinter. An einer Wand hing ein großes Kreuz.
Er steckte die Hand in die Tasche, schob einen Finger durch den Schlüsselring (das, dachte er, war ein spezielles Souvenir von seinem Besuch »da unten«) und stellte sich vor, wie er auf dem Schwinn aus dem Western Auto die Broad Street entlangfuhr. Er war auf dem Weg zum Park. Er trug einen schokofarbenen runden Filzhut mit schmaler Krempe, den er auf den Hinterkopf zurückgeschoben hatte. Seine Haare waren lang und zu einem Entenschwanz gekämmt - kein Bürstenschnitt mehr, damit war Schluss. Um die Taille hatte er eine Jacke mit seinen Farben drauf; auf seinem Handrücken war ein blaues Tattoo, tief eingeprägt, unauslöschlich.
Am Rand von Platz B würde Carol auf ihn warten. Sie würde ihn näher kommen sehen und denken: Oh, du verrückter Kerl, wenn er das Schwinn in einem engen Kreis herumriss und dabei Kies in Richtung ihrer weißen Schuhe (aber nicht darauf) spritzen ließ. Verrückt, ja. Ein scharfer Motorrollertyp und ein knallharter Draufgänger.
Len Files und Ted kamen jetzt zurück. Beide sahen zufrieden aus. Len schaute sogar wie die Katze drein, die den Kanarienvogel verspeist hatte (wie Bobbys Mutter oftmals sagte). Ted blieb stehen, um noch ein paar kürzere Worte mit dem alten Mann zu wechseln, der nickte und lächelte. Als Ted und Len wieder in den Eingangsbereich kamen, lenkte Ted seine Schritte zu der Telefonnische gleich bei der Tür. Len fasste ihn am Arm und steuerte ihn stattdessen zum Kassentresen.
Während Ted dahintertrat, zerzauste Len Bobby die Haare. »Ich weiß, wem du ähnlich siehst«, sagte er. »Ist mir im Hinterzimmer wieder eingefallen. Dein Dad war …«
»Garfield. Randy Garfield.« Bobby blickte zu Len auf, der seiner Schwester so sehr ähnelte, und dachte, wie seltsam und irgendwie auch wundervoll es doch war, auf diese Weise mit seinen eigenen Blutsverwandten verbunden zu sein. So eng verbunden, dass Leute, die einen nicht mal kannten, einen trotzdem manchmal sogar in einer großen Menschenmenge identifizieren konnten. »Mochten Sie ihn, Mr. Files?«
»Wen, Randy? Klar, war’n dufter Typ.« Aber Len Files drückte sich ein bisschen vage aus. Bobby kam zu dem Schluss, dass er nicht auf dieselbe Weise Notiz von seinem Vater genommen hatte wie seine Schwester; Len würde sich wahrscheinlich nicht an den Jo-Stafford-Song erinnern und
auch nicht daran, dass Randy Garfield einem sein letztes Hemd gegeben hätte. Er hätte einem Betrunkenen jedoch nie was
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