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Atlas eines ängstlichen Mannes

Atlas eines ängstlichen Mannes

Titel: Atlas eines ängstlichen Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Ransmayr
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können, die beiden Schläfer bis zum Hals zuzudecken, dann seine Kamera aus dem Auto zu holen, die für die vielen Details, die es auf einer Baustelle zu dokumentieren gab, immer im Handschuhfach bereitlag – und das Paar zu fotografieren. Für ein zweites Bild ließ sich der Hund sogar auf den Rücken drehen. Den haarigen Schädel auf dem Kopfkissen, lag er wie eine unter dem Vollmond zum Werwolf gewordene Geliebte neben seinem schnarchenden Herrn. Monatelang blieb die Fotografie an das schwarze Brett des mit Planrollen und Aktenordnern vollgestopften und dazu von Zimmerpflanzen durchwucherten Büros genadelt, in dem der Baumeister Tage- und Wochenlöhne auszahlte. Ein Hochzeitsbild, sagte der Baumeister, wenn der Steinmetz hier zwischen Kakteen und Passionsblumen seinen Lohn in Empfang nahm: Wer sich mit der Flasche ins Bett legte, schnarchte eher früher als später neben dem Hund, auf den er gekommen war.
    Und jetzt stand der Saufbold vor ihm und hatte, als er zu Hause oder sonstwo eingenickt und aus seinem Dusel irgendwann hochgeschreckt war, offensichtlich nicht gemerkt, daß immer noch Sonntag war, Sonntagabend. Morgen- und Abenddunkel unterschieden sich um diese Jahreszeit ja kaum voneinander. Und wie damals in der Schlafkammer konnte der Baumeister auch diesmal der Versuchung nicht widerstehen:
    Acht Uhr vorbei, um mehr als eine Stunde zu spät, sagte er. Du bist gefeuert, sagte er.
    Der Steinmetz hustete, strich sich das Haar aus der Stirn, wie er es immer tat, bevor er etwas sagen wollte, schwieg dann aber einige Atemzüge lang. Ob der Baumeister, sagte er dann, ob der Baumeister wenigstens aus Rücksicht auf seine Familie noch ein letztes Mal Nachsicht haben könne; eine letzte Chance. Schließlich sei er gestern als einer der ersten aus dem
Sandboat
aufgebrochen und so früh zu Bett gegangen wie seit Jahren nicht mehr, alles nur, um auf keinen Fall zu verschlafen.
    Familie? sagte der Baumeister, hatte der Steinmetz vergessen, daß ihm Deirdre, seine Frau, schon vor Jahren davongelaufen war, geflüchtet vor seinen Räuschen, und daß selbst seine Töchter
davon
geheiratet hatten, nach Rosslare und Waterford und von dort nicht einmal mehr zu Weihnachten in sein zur Bruchbude verkommenes Haus zurückkehrten. Familie? Auf dem Foto am schwarzen Brett war doch bereits die ganze Familie zu sehen: Ein alter Säufer und sein uralter Hund.
    Eine Chance, sagte der Steinmetz.
    Jetzt war es der Baumeister, der lange und wie im Widerstreit mit sich selber schwieg, Die anderen seien längst weg, sagte er dann, er habe sie nach Skibbereen geschickt. Bevor der Granit am Mount Gabriel nicht verlegt sei, konnte dort ja doch keiner von ihnen weitermachen.
    Bis zum Abend bin ich fertig, sagte der Steinmetz.
    Deine letzte Chance, sagte der Baumeister, die allerletzte.
    Der Erzähler wartete ab, bis das Gelächter seiner Zuhörer an der Theke ihn wieder zu Wort kommen ließ: Die letzte Chance! Seine letzte Chance!
    An diesem finsteren Morgen, finsteren Abend, setzte der Baumeister den Steinmetz also an der Baustelle am Mount Gabriel ab, und der begann dort bei Anbruch der Nacht mit seinem Tagwerk, schliff, schnitt, schleppte Steine durch die Finsternis. Wie langsam bei dieser Schinderei die Zeit verging. Und es wurde nicht heller.
    Und dann, er wußte nicht mehr, wie lange das Morgengrauen ihm schon fehlte, er bückte sich gerade nach dem Eckstein einer Terrasse, von der sich ein weiter Blick auf den Atlantik bieten sollte, hob einen Brocken, der so schwer war, daß ihm das Blut in den Kopf rauschte, als er diesen Chor hörte:
Good morning, good morning sunshine!
, Guten Morgen, liebe Sonne, vorbei ist die Nacht!, einen schlampigen Kanon, der bald in Hurragebrüll überging. Die da sangen und brüllten, das waren seine Kumpel. Der Baumeister hatte einige von ihnen aus dem
Sandboat
, andere aus zwei Pubs, einen sogar aus dem Bett geholt und ihnen ein Ständchen am Mount Gabriel vorgeschlagen. Dort sei ein fleißiger Mann am Werk.
    The man who never saw the sun rise.
Der Mann, dem die Sonne niemals aufging … Wie Pech, sagte der Erzähler, bevor er, wie immer an dieser Stelle, in das Gelächter seiner Zuhörer einfiel, der Spottname klebe nun an ihm wie sonst nur das Pech.
    Wer ist dieser Steinmetz? fragte der Mann an der Schank, eine Aushilfe, er kam aus Glengarriff und kannte die Geschichte noch nicht.
    Er steht vor dir, sagte der Erzähler.
    Und der Baumeister? fragte der an der Schank.
    Der steht neben mir, sagte der

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