Atlas eines ängstlichen Mannes
einziges Mal wandte sich die Fischerin nach dem Ufer um, als eine Frau, die das Gesicht ihres Mannes mit Flußwasser benetzt und ein letztes Mal liebkost und geküßt hatte, verzweifelt zu schreien begann und sich dann schreiend in den Armen einer Trösterin wand.
Auch ein schwarzweiß gefleckter Hund, der zwischen den zur Verbrennung bereitliegenden Leichnamen geschlafen hatte, war wohl von der Klage der Frau geweckt worden, erhob sich nun, gähnte, streckte sich, stakste dann in den Fluß und beschnüffelte, was ihm entgegenschaukelte, nahm etwas davon kurz in sein Maul, ließ es wieder ins Wasser zurückfallen. Dabei kam er aber der Fischerin zu nahe, die ihm etwas zurief, einen Befehl oder einen Fluch, und sich bückte, als sollte ein Flußkiesel aufgehoben und geschleudert werden.
Der Hund verstand, machte einige Sprünge flußabwärts und wirbelte dabei schwarzen Schlamm auf. Dann zog er, da und dort schnüffelnd und schnappend, weiter und war einen Steinwurf entfernt, als er auf einen Nebenbuhler stieß, der ihn ohne Vorwarnung ansprang.
Ich beobachtete die im Wasser Kämpfenden und sah deshalb nicht, wie das Mädchen seinen Fang machte. Erst ihr Triumphschrei führte mich zu ihr zurück. Sie hatte die Angelschnur bereits aus dem Wasser gezogen. Am Ende der Schnur war kein Haken, sondern ein Magnet befestigt, an dem der Fang haftete, ein Metallstück, eine Spange, ein Verschluß, etwas, das einen der Verbrannten vielleicht einmal geschmückt oder ihm gedient hatte und mit seiner Asche in den Fluß gefegt worden war.
Das Mädchen löste den Fang von dem Magneten, hielt ihn ins Licht, zeigte ihn lachend einer am Ufer hockenden Frau, prüfte ihn noch einmal und steckte ihn dann in einen Stoffbeutel, den sie an einem Schulterriemen trug. Dann warf sie die Angelschnur wieder aus.
Ich beschattete meine Augen, um mich wieder den flußabwärts kämpfenden Hunden zuzuwenden. Aber dort, wo sie sich unter Wasserfontänen zu einem rasenden Knäuel verbissen hatten, glitzerte nur eine Leerstelle im Nachmittagslicht und zog der Fluß, der aus der Nähe einer Kloake glich, silbrig dahin.
Die Drohung
Ich sah eine Henkerschlinge auf der haushohen Plakatwand, die das flache Gebäude einer Grenzstation überragte. Der Bus, in dem ich auf einer der vordersten Bänke saß, fuhr auf diese Plakatwand in jenem Schrittempo zu, das im Niemandsland zwischen der thailändischen und malaysischen Grenze strenge Vorschrift war. Über dem sechsfach gewickelten Knoten der Schlinge stand in mannshohen, schwarzen Lettern auf weißem Grund: DEATH FOR DRUGS . Todesstrafe für Drogenhandel.
Man hatte uns, Reisende verschiedenster Nationalitäten, die aus dem Süden Thailands in der dampfenden Hitze des Nordostmonsuns nach Malaysia unterwegs waren, schon vor der Abfahrt gewarnt: Gepäck nie aus den Augen lassen! Niemandem die Gefälligkeit erweisen, niemals!, für ihn ein Paket, ein Kleidungsstück, eine Puppe oder auch nur einen Kuchen über die Grenze nach Malaysia mitzunehmen. Es sei vorgekommen, daß ahnungslose Buspassagiere auf diese Weise zu Drogenkurieren geworden waren. In Malaysia müsse ein des Drogenhandels Angeklagter seine Unschuld – und nicht der Ankläger seine Schuld beweisen. Und: In Malaysia werde nicht nur hingerichtet, sondern auch gefoltert.
Der Anblick der im Schrittempo näher kommenden, größer und größer werdenden Henkerschlinge ließ mich – und wohl auch andere Reisende – plötzlich zweifeln: Hatten wir unser Gepäck tatsächlich nicht aus den Augen gelassen? Unsere Rucksäcke, Koffer, Taschen, Bündel lagen auf dem Busdach mit Stricken festgezurrt unter Planen.
Als der Bus vor der Plakatwand hielt und der Fahrer und sein Gehilfe begannen, Stück für Stück abzuladen und in einer langen Zeile auf den nach einem Wolkenbruch von Pfützen spiegelnden Asphalt zu legen, schien es durchaus möglich, daß ausgerechnet im eigenen Rucksack, im eigenen Koffer Schmuggelgut lag, das nach dem Passieren der Grenze ebenso unauffällig wieder entfernt werden sollte, wie es irgendwann vor der Abfahrt, auf dem lärmenden Busbahnhof oder bei einer Rast unterwegs, als möglicherweise tödliches Kuckucksei zwischen T-Shirts, Sarongs, Schlafsäcken und Taschenbüchern versteckt worden war.
Die Zeile, in der die Gepäckstücke schließlich aufgereiht lagen, war dreimal so lang wie unser schlammverkrusteter Bus, dessen Unterseite von zwei uniformierten Grenzpolizisten mit an Stangen montierten rollenden Spiegeln
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